Die Wälder von Albion
Vater… Ich bin jedenfalls in die entgegengesetzte Richtung geritten, in die er mich schicken wollte!« Er lachte. Dann fragte er: »Wie geht es der kleinen Valeria?«
»Wir nennen sie Senara. Ihr geht es gut.«
»Das freut mich«, sagte Gaius, aber sie hörte am Klang seiner Stimme, daß Senara bereits für ihn vergessen war.
»Cynric ist geächtet. Weißt du das?« fragte er sie. »Ich habe ihn noch einmal gesehen, bevor er Deva verließ. Cynric hat mir geraten, dich zu vergessen… « Er schwieg.
Soll ich etwas sagen? Was möchte er von mir wissen?
Vielleicht wollte er nur den Klang ihrer Stimme hören. Vielleicht wollte er sicher sein, daß sie an ihn dachte. Aber wußte er das nicht? Sie spürte ihn mit allen ihren Sinnen.
»Mein Vater hat sich in den Kopf gesetzt, daß ich eine Römerin heiraten soll… die Tochter des Prokurators in Londinium… «
»Wirst du ihm gehorchen?« fragte Eilan zurückhaltend, aber mit klopfendem Herzen.
Er soll heiraten! Warum sagt er mir das?
Sie wußte, eine Heirat würde nichts an ihrer Beziehung ändern. Aber weshalb bereitete ihr der Gedanke Schmerzen?
Sie erreichten das Ende des Marktes und standen am Waldrand. Noch ein paar Schritte, und sie befanden sich im Schutz der Haselnußsträucher.
In der Nacht vor Beltane liefen die jungen Männer und Frauen in den Wald. Sie pflückten Blumen und liebten sich auf dem jungen grünen Gras. Hier im Wald tauschten sie ihre Geheimnisse aus, gelobten sich Treue und huldigten auf ihre Weise der Göttin. Die Bäume, Büsche und Sträucher waren ihre Zeugen und vergaßen nichts. Eilan spürte das Echo der Leidenschaft. Es gehörte zu der unbezähmbaren Lebenskraft, die sie in der Menge erfaßt und mit sich fortgerissen hatte.
Er sah sie an. »Du weißt, ich werde keine andere Frau als dich heiraten!«
»Ich kann nicht heiraten«, erwiderte sie, »mein Leben ist den Göttern geweiht .«
»Dann werde ich auch nicht heiraten«, erklärte er entschlossen.
Aber du wirst heiraten…
Obwohl seine Antwort in ihr ein unverständliches Glücksgefühl auslöste, wußte sie, daß es nicht so sein konnte, nicht sein durfte. Vor ihrem inneren Auge glaubte sie undeutlich die Frau zu sehen, die er heiraten würde. Und warum sollte sie es ihm verübeln? War sie so herzlos, von Gaius zu verlangen, daß er ein Leben lang allein blieb? Oder wollte sie, daß er sie mit sich nahm, Himmel und Erde in Bewegung setzte, um sie von ihrem Gelübde zu entbinden? Welche Worte konnten den Halbmond auf ihrer Stirn verschwinden lassen?
Eilan stolperte über eine Baumwurzel, und Gaius stützte sie schnell. Erstaunt sah sie, daß sie bereits tief im Wald waren. Der Lärm der Menge klang nur noch schwach zu ihnen und aus weiter Ferne, als seien sie bereits Stunden gegangen.
Hatten sie die Grenze überschritten und befanden sich in der anderen Welt? Sie standen im kühlen Schatten hoher Bäume. Die Sonne verschwand hinter einer Wolke, und ein kalter Wind begann zu wehen. Würde es anfangen zu regnen?
Wie als Antwort fielen ein paar Tropfen von den Blättern.
»Eilan… «, flüsterte er und drückte ihre Hand. »Bitte… Eilan!«
Sie wandte sich ihm zu und spürte seine Sehnsucht. Die Welt schien plötzlich stillzustehen. Eilan glaubte, bis zu diesem Augenblick sei alles nur ein Traum gewesen - der Bär, die ausgelassene Menge, Gaius…
Aber nun war sie hellwach und sah mit schrecklicher Klarheit die Vergangenheit und die Zukunft. Vielleicht hatte das Schicksal sie hierher geführt, aber die Entscheidung, die sie im nächsten Augenblick traf, würde seine Zukunft und ihre bestimmen - und vielleicht auch die Zukunft vieler anderer Menschen.
Ihr Bewußtsein zog immer weitere Kreise, erreichte andere Zeiten, bis sie wieder den blonden Krieger sah mit den tätowierten Drachen auf den Armen und dem kühnen Adlerblick, den sie an Gaius so liebte.
Ungeschickt schob er ihren Schleier zurück und streifte dann ihre Wange. Einen Augenblick lang ließ er seine Hand dort ruhen; dann glitt sie von einer unwiderstehlichen Kraft getrieben nach unten, über den zarten Hals und verweilte auf der Wölbung der Brust unter dem Ausschnitt ihres weiten Gewandes.
Das Gras auf der Lichtung war weich und hellgrün. Eilan hörte wie ein Echo die klare, volltönende Stimme des Merlin.
Die Göttin wird nicht in einem Tempel verehrt, den Menschen gebaut haben…
Noch vor wenigen Monaten hatte sie gelobt, nur den Sommerkönig zu lieben, wenn seine Wahl auf sie fiel.
Wie als
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