Die Wälder von Albion
schließlich leise: »Bitte! Gib mir meinen Sohn… «
Eilans Tränen versiegten so schnell, wie sie gekommen waren. Sie lächelte ihn an, aber sie sah ihn erst richtig, als er das Kind in die Arme nahm. Er wirkte älter und härter. Bittere Erfahrungen hatten seine Züge noch feiner gemacht, und die Schatten in seinen Augen sprachen von Kummer und Schmerz. Auf der Wange entdeckte sie eine Narbe. Aber als er sein Kind zum ersten Mal auf den Armen hielt, veränderte sich sein Gesicht.
»Mein Sohn… « flüsterte er und blickte in das winzige, faltige Gesicht, »mein Erstgeborener… «
Eilan seufzte erleichtert und lächelte.
Auch wenn er eine römische Frau heiraten wird, dieser Augenblick gehört mir ganz allein.
Als sich die blaugrauen Augen des Neugeborenen auf den Vater richteten und auf seinem Gesicht verweilten, drückte ihn Gaius liebevoll und beschützend an sich. Alle Härte war aus seinem Gesicht gewichen. Seine Aufmerksamkeit galt jetzt ganz dem Kind.
Er würde dieses Kind, das so hilflos in seinen Armen lag, mit seinem Leben schützen und verteidigen. Eilan sah, wie von Gaius ein Strahlen ausging, wie sie es noch bei keinem Menschen erlebt hatte, und sie erkannte das Vater-Gesicht des Gottes.
»Wie wird die Welt für dich sein, mein Kleiner?« flüsterte Gaius. »Wie kann ich dir helfen, wie kann ich dir ein Zuhause geben, in dem du Sicherheit findest?«
Lange schienen er und das Kind in gegenseitigem Betrachten versunken zu sein. Dann rülpste der Kleine plötzlich und begann, an seinem Daumen zu lutschen.
Gaius blickte wieder zu Eilan. Als er ihr das Kind in den Arm legte, wußte sie, so erschöpft und kraftlos sie auch sein mochte, für ihn war sie die Göttin.
»Wie findest du ihn, Liebster?« fragte sie leise. »Ich habe ihn Gawen genannt so wie deine Mutter dich.«
»Ich finde, er ist hübsch, Eilan«, erwiderte er mit bebender Stimme. »Wie kann ich dir jemals für dieses Geschenk danken?«
Flieh mit mir! Bring uns in ein Land, wo wir zusammen leben können und frei sind!
Aber das Licht zuckte höhnisch über den Siegelring an seinem Finger, und Eilan wußte, daß es dieses Land nicht gab. Wohin sollten sie fliehen, um der Macht Roms zu entkommen?
»Trage dazu bei, daß es eine Welt gibt, in der er sicher ist… «, erinnerte sie ihn an seine eigenen Gedanken und dachte an die Worte des Merlin. In diesem Kind mischte sich das Blut des Drachen und des Adlers mit dem alten Geschlecht der Weisen. Die Retter Albions würden aus dieser Sippe hervorgehen. Aber damit sich die Prophezeiung erfüllen konnte, mußte das Neugeborene zum Mann heranwachsen.
»Manchmal frage ich mich, ob das überhaupt möglich ist… «
Er richtete den Blick nach innen, und wieder sah sie den dunklen Schatten in seinem Gesicht.
»Du hast gekämpft und warst in der Schlacht, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe… «, sagte sie teilnahmsvoll. »Diese Narbe stammt nicht aus Londinium… Erzähl mir, was ist geschehen?«
»Hast du von der Schlacht am Mons Graupius gehört?« Seine Stimme klang rauh. »Ja, ich war dabei… «
Während er ihr alles berichtete, was er erlebt hatte, und Bilder um Bilder aus ihm herausbrachen, litt Eilan, als sei sie dabei gewesen. Sie erlebte das Grauen, das Elend und die Angst. Es hatte nicht nur viele Tote gegeben, eine Zeit war unwiderruflich zu Ende gegangen.
»Ich wußte, daß etwas Schreckliches geschehen war… «, sagte sie schließlich kaum hörbar. »Einen Monat nach Lughnasa überkam mich plötzlich in der Nacht große Angst. Ich hatte das Gefühl, daß dein Leben in Gefahr ist. Ich habe mit dir auf meine Art gesprochen, ich habe dich beruhigt und dich umarmt. Den ganzen nächsten Tag war ich in Gedanken bei dir. Aber ich hatte immer wieder Angst, und erst nach Einbruch der Dunkelheit fühlte ich mich etwas ruhiger. Ich hatte den Eindruck, daß du kämpfen mußtest, aber ich war sicher, daß du am Leben warst. Du bist ein Teil von mir, Geliebter, wenn du gefallen wärst, dann hätte ich es gewußt!«
Gaius griff nach ihrer Hand. »Es ist wahr. Ich träumte vor der Schlacht von dir. Du warst bei mir und hast mich in deine Arme genommen. Nach dem Traum schwand meine Angst. Eilan, keiner anderen Frau als dir wird mein Herz gehören. Keine andere Frau kann mir meinen Erstgeborenen schenken, denn du hast es bereits getan! Aber… «, er verstummte. »Ich kann ihn nicht als meinen Sohn anerkennen. Ich kann dich nicht heiraten!«
Er schlug die Hände vor das Gesicht.
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