Die Wälder von Albion
werden. Die Kraft der anderen Welt schoß mit der Wucht einer Springflut auf sie herab und riß ihr Bewußtsein wie ein welkes Blatt mit sich davon.
Eilan spürte, wie Caillean und Senara ihr auf den Sitz halfen. Sie hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu sinken, durch die Welten zu fallen, obwohl sie wußte, daß man sie festhielt. Doch ihr Geist wurde zwischen Himmel und Erde hin und her geschleudert. Als der Trommelwirbel und das Klingen der Silberglöckchen abbrachen, empfand sie das wie einen letzten heftigen Stoß, und dann… war sie endlich frei.
Sie schwebte durch einen goldenen Nebel und überließ sich voll Freude dem Gefühl völliger Sicherheit. Sie war geschützt und wieder zu Hause. In der Ewigkeit ihres Vertrauens schienen alle Ängste, die sie auf der Erde zurückgelassen hatte, nur etwas Vorübergehendes und Vergängliches zu sein. Sie waren völlig belanglos und unwichtig.
Aber das silberne Band, mit dem sie noch immer an ihrem Körper hing, ließ sie nicht völlig los, und nun hob sich langsam - oder zögernd, wie es schien - der Nebel, so daß sie etwas sehen und hören konnte.
Tief unter ihr saß eine zusammengesunkene Gestalt in dunkelblauen Gewändern; und sie wußte, das war ihr Körper im Schein der großen Feuer zu beiden Seiten der Anhöhe. Priester und Priesterinnen hatten einen weiten Kreis gebildet. Auf der einen Seite schimmerten hell die weißen Gewänder der Druiden und auf der anderen die dunkelblauen der Priesterinnen - wie zwei Hälften aus Licht und Schatten -, und dahinter standen dicht gedrängt die Menschen. So viele waren diesmal zum Fest gekommen, daß der ganze Hügel schwarz übersät war. Feuerpunkte glühten von den Verkaufsständen und vor den Zelten der Lager, die überall aufgeschlagen worden waren. Dahinter erstreckte sich das unregelmäßig hellgrüne und dunkelbraune Muster von Wäldern und Feldern. Heller schimmernde Wege wanden sich wie silberne Bänder durch das Land. Eilan sah die Kraftlinien der Erde, die pulsierenden Farben des Frühlings.
Sie bemerkte eine schillernde Unruhe am Rand der Menge, und weiter weg, in Richtung der Stadt, sah sie unter dem am Horizont sinkenden Mond ein blutiges, metallisches Glitzern.
Die Druiden riefen die Göttin an und verwoben so alle unterschiedlichen Vorstellungen der Menschen zu einem einzigen, machtvollen Bild der Göttin, das aber gleichzeitig so vielfältig blieb wie die Menschen, die den Ruf nach IHR wie ein gewaltiges Echo aufgriffen. Eilan sah die Kraft, die sie beschworen, als einen Wirbel aus vielfarbigem Licht, und sie bedauerte ihren zerbrechlichen Körper, der dieser Explosion willenlos ausgeliefert war. Ihre zuckende Gestalt verschwand in den Blitzen, denen die erwachte Erde sich bebend überließ. Dann nahm die Kraft Gestalt an. Eilan sah eine Frau von übermenschlicher Größe und strahlender Schönheit, deren Gesicht sie allerdings nicht erkennen konnte. Sie blickte genauer hin, denn sie wollte wissen, mit welchem Gesicht die Göttin diesmal erschienen war.
In diesem Augenblick stieß die Unruhe in der Menge vom Rand in die Mitte vor. Sie sah den roten Schein von Schwertern und hörte rauhe Männerstimmen zornig rufen: »Große Königin, höre uns! Cathubodva, wir rufen dich… Göttin der Raben, räche deine Söhne!«
Ardanos drehte sich mit wutverzerrtem Gesicht um und wollte die Männer zum Schweigen bringen, aber die Inbrunst der Gefühle in diesem Ruf hatte ihr Wirkung bereits getan.
Eine wilde Schar dunkel geflügelter Schatten flatterte über den Platz, und ein Wind ließ die Feuer auflodern. Die Gestalt in dem hohen Stuhl schien plötzlich noch größer zu werden und richtete sich drohend auf. SIE schob mit einer heftigen Bewegung den Schleier aus dem Gesicht.
»ICH höre euer Flehen, und ICH bin gekommen… wer wagt es, MICH zu rufen?«
Das ängstliche Gemurmel der Menge verstummte zu atemlosem Schweigen, als ein Mann entschlossen in den geweihten Kreis zwischen den Feuern trat.
Ardanos erkannte Cynric. Er trug einen blutigen Verband um den Kopf und hielt ein langes Schwert in der Hand.
»Mutter, ich rufe DICH… ich habe DIR schon immer gedient! Göttin der Raben, erhebe DICH jetzt in DEINER ganzen Wut!«
Der hölzerne Sitz schien zu zerbrechen, als die Gestalt sich vorbeugte. Im Feuerschein brannten IHRE Haare, und IHR Gesicht glühte rot - so rot wie Cynrics Schwert.
Ardanos blickte von der Göttin auf den Mann. Er wollte einschreiten, aber er wagte nicht, die Kraft, die sich
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