Die Wälder von Albion
sagte: »Du hast also bei den Römern gelebt. Vielleicht kannst du uns dann sagen, warum sie unsere Männer verschleppen. Weißt du auch, was mit ihnen geschieht?«
»Die Senatoren der Provinzen bezahlen mit den Zwangsarbeitern ihre Steuern. Ich habe gehört, daß man die Männer in die Bleiminen in den Mendip-Bergen bringt«, erwiderte er zögernd und fügte dann verlegen hinzu: »Aber ich weiß nicht, was dort mit ihnen geschieht.«
Gaius wußte es sehr wohl. Mit Peitsche und Hunger brach man den Widerstand der Männer. Wer sich trotzdem nicht fügen wollte, wurde kastriert. Wer den Marsch zu den Minen überlebte, mußte dort arbeiten, solange er lebte.
Ein kurzes triumphierendes Aufblitzen in Diedas Augen verriet ihm, daß sie sicher war, er wußte mehr, als er gesagt hatte. Gaius zuckte zusammen, als Mairi zu weinen begann. Zum ersten Mal erlebte er Menschen, die litten, weil man Männer zur Zwangsarbeit ausgehoben hatte.
»Kann man denn nichts dagegen unternehmen?« fragte Mairi unter Tränen.
»In diesem Jahr können wir nichts tun«, antwortete Ardanos leise und ließ Gaius nicht aus den Augen. Selbst als römischer Offizier mußte er sich eingestehen, wie ungerecht es war, das Leben unschuldiger Männer auf diese grausame Weise zu zerstören. Das war eine sehr harte Strafe für die Stämme, auch wenn sie Rom Widerstand geleistet hatten.
»Vielleicht kann man nichts dagegen tun«, sagte Gaius beklommen, »aber man kann nicht leugnen, daß durch die Minen ganz Britannien reich geworden ist… «
»Wir können ohne diesen Reichtum leben«, erwiderte Cynric empört. »Rom sorgt immer nur für die Reichen, die sowieso schon Macht haben, und versklavt das Volk, das sich nicht wehren kann und schwach ist.«
»Nicht nur die Römer sind reich geworden… «, begann Gaius.
»Du sprichst wohl von Verrätern wie Clotinus?«
Gaius wurde rot und wußte darauf nichts zu sagen. Rheis beugte sich vor und half ihm aus der Verlegenheit.
»Das reicht«, sagte sie energisch und wollte das Gespräch beenden, das eine riskante Wendung genommen hatte. Aber Cynric war nicht zu bremsen.
»Du hast bei den Römern gelebt«, rief er zornig. »Weißt du zum Beispiel, auf welche Weise Clotinus zu seinem Reichtum gekommen ist? Er hat den Legionen den Weg nach Mona gezeigt. Bist du vielleicht schon so sehr Römer, daß du nicht mehr weißt, daß Mona eine heilige Insel war… die Insel der Frauen… Es war der heiligste Ort in Albion, bevor Paulinus kam.«
»Ich weiß nur, daß es dort ein Heiligtum gab«, erwiderte Gaius ruhig, aber wieder überlief ihn ein kalter Schauer. Die Eroberung von Mona war für die Römer überschattet worden von der Katastrophe der Rebellion der Icener. Aber er wollte um keinen Preis im Haus eines Druiden über die Eroberung der Insel Mona sprechen, denn schließlich hatte Agricola erst im vergangen Jahr dort die letzten Reste von Widerstand endgültig gebrochen.
»Hier an unserem Feuer sitzt ein Barde«, sagte Cynric, »der uns erzählen kann, was mit den Frauen von Mona geschah. Dann wird auch dein Herz bluten!«
Ardanos hob abwehrend die Hand. »Nicht heute abend, mein Junge.«
Rheis nickte und erklärte entschieden: »Und nicht an meiner Tafel. Diese Geschichte erzählt man nicht Gästen beim Abendessen.«
Das Thema ist nicht sehr beliebt, dachte Gaius, oder politisch zu brisant. Wie auch immer, er war froh über die Einwände, denn er hatte nicht den Wunsch, sich gerade jetzt von Ardanos Geschichten über römische Grausamkeiten anzuhören.
Cynric schien unzufrieden und sagte leise zu Gaius: »Ich werde es dir später erzählen. Meine Ziehmutter hat vielleicht recht, über so etwas sollte man nicht beim Abendessen oder in Anwesenheit von Kindern reden.«
»Wir sollten lieber an unsere Vorbereitungen für Beltane denken«, meinte Rheis. Wie auf ein Signal erhoben sich Mairi und die anderen Frauen schweigend und trugen Teller und Platten hinaus.
Cynric bot Gaius seinen Arm und half ihm zu seiner Bettstelle zurück. Der junge Römer stellte fest, daß seine Beine zitterten und er noch sehr schwach war. Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte. Trotzdem wollte er unbedingt noch gründlich über alles nachdenken, was er gehört und gesehen hatte, aber bald schlief er tief und fest.
In den nächsten Tagen begann die verletzte Schulter anzuschwellen, und Gaius hatte große Schmerzen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als im Bett zu bleiben. Eilan pflegte ihn mit Hingabe und tröstete ihn mit
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