Die Wälder von Albion
Schwingung ihrer Kraft. Caillean hob die Hände, ließ sie langsam sinken, und als die beiden Priesterinnen neben ihr sie ergriffen, durchzuckte Caillean ein Blitz und kurz darauf ein zweiter. Da wußte sie, daß sich die Novizinnen ebenfalls an den Händen hielten, und sie begann die Anrufung.
»Hört mich, meine Schwestern! Die Kraft des Mondes ist die Kraft der Frauen. Der Mond ist das Licht in der Dunkelheit, und er lenkt den Rhythmus, das Kommen und Gehen der Kräfte auf den inneren Ebenen. Der jungfräuliche Mond birgt in sich das Wachstum und den Keim zu allem, was beginnt. Deshalb bitten wir die Göttin um IHRE Kraft für alles, was von uns erwartet wird.
Meine Schwestern, seid ihr bereit, euch dem zu schenken, was wir zu unserer Aufgabe machen?«
Im Kreis erklang das leise Murmeln der Zustimmung, und Caillean verwurzelte sich fester mit den Füßen im feuchten, kühlen Gras.
»Wir rufen die Göttin, die Herrin des Lebens! IHR Gewand ist der mit Sternen übersäte Himmel. SIE ist die jungfräuliche Braut, die Mutter allen Lebens, die Weisheit über allen Welten. In IHR sind alle Göttinnen, und alle Göttinnen sind eine Göttin. In all IHREN Verkörperungen, in allen Gesichtern leuchtet SIE am Himmel und in uns!«
Caillean fühlte die Wärme der Kraft aus der Erde aufsteigen. Ihr Atem wurde vom Wind getragen, und ihre Augen blickten in andere Welten, als sie jetzt rief: »Göttin, höre unseren Ruf!«
»Göttin, blicke auf uns!« riefen die Priesterinnen.
»Göttin, erscheine uns jetzt!«
Die Spannung hatte ihren Höhepunkt erreicht. Caillean erlebte den heißen Strom pulsierender Kraft nicht nur in ihrem Körper, sondern auch in dem Kreis, der sie umgab.
»Wir rufen DEINE Kraft, um die Kranken zu heilen, um den Sterbenden in ihrer Not zu helfen und um das Land zu schützen!«
Sie hörte, wie Dieda den ersten Ton des Heilgesangs anstimmte, und ein Drittel der Novizinnen fiel ein. Der Ton klang tief und sanft wie der einer Harfe, aber je länger sie ihn hielten, desto tiefer und weicher, lauter und klarer erhob er sich in die Luft. Dann folgte der zweite Ton, den das nächste Drittel der jungen Frauen aufnahm und dann der dritte. Ein Dreiklang entstand und wurde zur Vollkommenheit geführt, als sich Diedas Stimme mit dem höchsten Ton über den Chor erhob wie eine Lerche, die in den Himmel aufsteigt.
Das Prinzip des Gesangs stammte von den Barden in Eriu, die damit ihre Magie bewirkten. Eilan hatte die Idee gehabt, das Prinzip auf Stimmen zu übertragen. Dieda hatte daran gearbeitet und den Novizinnen diesen Heilgesang beigebracht. Für Caillean war es ein Gefühl, als stehe sie in einer Harfe und werde von dem reinigenden Klängen wie von Wasser umspült. Als die Stimmen immer harmonischer zusammenklangen, konnte Caillean zu allen im Kreis eine geistige Verbindung herstellen und sie mit ihrem inneren Ohr hören. Der Gesang war zu einer Brücke zwischen den Welten geworden.
» Ich fliege mit den Flügeln des Lichts
Ich sehe den Regenbogen um den Mond
In der Sonne
Im Wasserfall
Die Welt erstrahlt in allen Farben
Kühles, klares Wasser
Wärme des Feuers
Weichheit des Windes
Liebe in den Armen der Mutter. «
Gedanken, Gefühle und Visionen im Kreis der Frauen wuchsen über die Wahrnehmung der einzelnen hinaus. Sie waren in diesen Augenblicken alle miteinander verbunden und eins. Die Sinne durften sich entfalten, ohne die Harmonie aller zu stören. Es war ein Einklang der Schwingungen, der unter dem Schutz des neuen Mondes stand, den die Göttin ihren Kindern als Hoffnung schenkte.
» Atmet den göttlichen Frieden
Laßt euch durchdringen von der Freude
So überwindet ihr die Schwere
So helft ihr allen Menschen
Ihr werdet zur Göttin des Lichts. «
Die letzten Schwankungen verschwanden. Die Stimmen der Frauen stiegen immer höher und wurden in ihrer Reinheit zur Stimme der Göttin. Auch Diedas Spannung und Unzufriedenheit löste sich. Sie konnte sich glücklich dem Klang der Musik überlassen, der Richtigkeit dessen, was sie als Sängerin hörte - das Erleben vollkommener Harmonie. Caillean atmete ruhig und gleichmäßig. Dann spürte sie den Impuls, die Kraft, die sie umfloß, wieder zu sammeln. Sie sah einen Schimmer wie zarten Nebel, der mit jedem Atemzug heller wurde.
Sie atmete langsam und lange ein und lenkte das Licht auf den Altar, bis alle schließlich den schimmernden Nebel auf dem Stein sahen. Die Töne stiegen weiter an und verebbten im ungestörten Rhythmus, aber das Licht
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