Die Wälder von Albion
herabsah. Die Senatoren erschienen einzeln oder zu zweit und unterhielten sich leise. Ihnen folgten die Sekretäre mit Stapeln von Wachstäfelchen, um die Debatten und Entscheidungen des Tages zu protokollieren.
Das sind also die Herren der Welt, die das Schicksal von Völkern entscheiden, dachte Gaius. Auf diesem Marmorboden hatten die Debatten über die Verteidigung stattgefunden, als Hannibal über die Alpen zog und Rom bedrohte. Aber auch die Eroberung der Provinz Britannien war hier beschlossen worden. An einem Ort wie dem Sitz des römischen Senats war der unaufhaltsame Gang der Zeit mehr als sonst spürbar. Selbst der Ruhm der Cäsaren war aus dieser Sicht nur eine Welle in dem großen Strom.
Mit Beginn der Anrufungen erschien der Kaiser. Er trug eine prächtige Purpurtoga, die mit goldenen Sternen übersät war. Gaius staunte. Er hatte von der Toga picta gehört, aber geglaubt, der Kaiser trage sie nur bei besonderen Feierlichkeiten und vor allem bei Siegesfesten. Es war irritierend, daß er in dieser Toga hier erschien, und Gaius fragte sich, ob sich Domitian der Wirkung bewußt war, oder ob er schlicht Gefallen an prunkvoller Kleidung fand.
Erst, als er sich an den Anblick der Toga gewöhnt hatte, konnte er den Mann betrachten, der sie trug. Zum ersten Mal sah er den Kaiser aus der Nähe und nicht nur gut abgeschirmt vom Stab seiner ausgewählten Tribunen wie damals in Dakien oder in der Loge im Colosseum.
Domitian, der jüngste Sohn des großen Vespasian, hatte einen Stiernacken und die muskulösen Schultern eines Soldaten. Aber Gaius entdeckte Verdruß in den herabgezogenen Mundwinkeln und Mißtrauen in den zusammengekniffenen Augen.
Es war fast Zeit für die Mittagspause, als man Gaius schließlich aufforderte, den Bericht des Licinius über die wirtschaftliche Lage der Provinz Britannien zu verlesen. Es gab anschließend ein paar Fragen - in erster Linie über die Einkünfte. Clodius Malleus erkundigte sich nach den Rebellen und gab Gaius damit Gelegenheit, von seinem letzten Einsatz gegen die Raben zu berichten.
Trotz einiger oratorischer Schulung hatte Gaius den Eindruck, die Senatoren zu langweilen, aber am Ende seiner Rede schenkten sie ihm alle freundlichen Beifall und stimmten dafür - wie Licinius es wünschte -, daß ein erheblicher Teil der Steuereinnahmen in der Provinz verblieb. Aus diesem Grund hatte Licinius seinen Schwiegersohn nach Rom geschickt, und Gaius freute sich, daß er die gute Nachricht mit nach Hause nehmen würde.
Die anschließende Begegnung mit Domitian fiel kurz aus. Der Kaiser legte bereits die prächtige Toga ab und machte sich auf den Weg zu seinem nächsten Termin. Aber er bedankte sich höflich bei Gaius.
»Du bist beim Militär?« fragte er.
»Als Tribun in der Zweiten Legion. Ich hatte die Ehre, in Dakien unter euch zu dienen«, fügte Gaius zurückhaltend hinzu.
»Hmm… gut. Ich nehme an, wir müssen für dich etwas Geeignetes in den Provinzen finden«, erklärte der Kaiser ohne besondere Anteilnahme und entließ ihn.
»Dominus et Deus«, sagte Gaius und salutierte, aber er haßte sich wegen dieser Worte.
Auf dem Rückweg lud ihn Clodius Malleus zu sich in seine Sänfte ein. Zum ersten Mal an diesem Tag konnten sie ungestört miteinander reden.
»Wie findest du den Senat?« fragte der ältere Mann.
»Der Senat macht mich stolz, ein Römer zu sein«, erwiderte Gaius aufrichtig.
»Und was sagst du zum Kaiser?«
Gaius schwieg, und dann hörte er den Senator seufzen.
»Du hast gesehen, wie die Dinge stehen«, sagte er schließlich leise. »Wenn ich mich für dich einsetze, dann muß das sehr vorsichtig geschehen… zumindest im Augenblick. Aber wenn du bereit bist, nicht nur die möglichen Vorteile, sondern auch die Gefahren in Kauf zu nehmen, die dir eine solche Verbindung einbringen wird, will ich dich gerne in den Kreis meiner Klienten aufnehmen. Ich kann zum Beispiel dafür sorgen, daß du als Prokurator in Britannien die Verantwortung für die Versorgung der Legionen erhältst - normalerweise würde man dich in irgendeine andere Provinz schicken, aber ich glaube, du kannst uns am besten in dem Land dienen, das du wirklich kennst.«
Das freundschaftliche »uns« ließ Gaius die kühle Distanziertheit des Kaisers vergessen. Das Rom, das zu ehren sein Vater und Licinius ihn gelehrt hatten, gab es vielleicht nicht mehr, aber Gaius hoffte, daß unter der Führung von Männern wie Malleus und Agricola der Geist Roms zu neuem Leben erwachen
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