Die Wälder von Albion
der Toten gleich nah oder fern. Trotzdem wehrte er sich nicht gegen Julias Wunsch, und so blieben sie in Deva.
Im Jahr darauf trat Licinius in den Ruhestand und zog zu ihnen. Er wollte in der Nähe seiner Tochter und Enkelkinder sein.
Sie erweiterten die Villa Severina noch um einen Trakt. Damit begann für Gaius das dritte Jahr als Prokurator. Er hatte gehofft, nach dem Ende seiner Amtszeit werde Senator Malleus eine Beförderung für ihn durchsetzen können, aber in dem Jahr erhielten sie schlechte Nachrichten - der Kaiser herrschte mittlerweile noch despotischer und wurde immer mißtrauischer. Als Feldherr hatte Domitian gewisse Erfolge, aber er schien darin eine übersteigerte göttliche Bestätigung seiner Macht zu sehen. Corax schrieb Licinius, der Kaiser habe nichts anderes im Sinn, als die verbliebene Macht der Patrizier völlig zu zerstören.
Gaius vermutete, daß dieser Versuch der Funke war, an dem sich die Rebellion entzünden würde. Aber wenn ein Aufstand geplant war, dann kam der Herrscher, dem niemand Unentschlossenheit nachsagen konnte, ihm zuvor. Als nächstes erhielt Licinius die Nachricht, daß Herennius Senecio und mehrere andere Männer seiner Umgebung als Hochverräter hingerichtet worden waren.
Damit wußte Gaius, an eine Beförderung war in nächster Zeit nicht zu denken. Sein Gönner, Senator Malleus, wurde zwar nicht angeklagt, aber er hielt es für klüger, sich auf seine Güter in Kampanien zurückzuziehen. Gegen Ende des Jahres traf die Nachricht vom Tod Agricolas ein.
» Wie Tacitus immer sagte« , schrieb Corax an Licinius, » ›es ist ein Prinzip der menschlichen Natur, jene zu hassen, die wir verletzt haben‹. Aber sogar unser göttlicher Kaiser fand wenig an Agricola auszusetzen, was seinen Haß gerechtfertigt hätte. Deshalb entging unser Freund der Schmach, öffentlich in Ungnade zufallen. Im Gegenteil, der Kaiser zeigte sich während Agricolas Krankheit sehr besorgt. Es kursieren zwar Gerüchte, nach denen der große Feldherr sein Leben durch Gift verlor, aber ich glaube, er ist an gebrochenem Herzen gestorben, weil er Roms moralischen Zerfall untätig mitansehen mußte. Wahrscheinlich geht es ihm jetzt besser, und wir werden uns selbst bald wünschen, nicht mehr am Leben zu sein. Seid froh, daß ihr in Britannien außer Sichtweite des Kaisers lebt… «
Deshalb verschob Gaius nach Ablauf seiner Amtszeit den geplanten Besuch in Rom und beschloß, sich wie der Senator seinen Feldern und Wäldern zu widmen. Das Leben in der Familie ließ schließlich ein stärkeres Gefühl der Freundschaft mit seinen drei Töchtern entstehen. Aber Julia konnte ihre Niedergeschlagenheit und körperliche Schwäche nicht überwinden.
Sie schliefen zwar wieder zusammen, aber es wurde immer deutlicher, daß sie ihm keinen Sohn gebären würde, der einmal den Besitz erben konnte, für den Gaius so schwer arbeitete.
Deshalb begannen seine Gedanken wieder um Eilans Kind zu kreisen. Der Junge mußte inzwischen beinahe neun Jahre alt sein. Selbst ein Vater, der nicht in der besonderen Gunst des Kaisers stand, konnte einem Kind eine bessere Zukunft garantieren als eine britonische Priesterin, die sich nicht einmal zu ihrem Kind bekennen konnte. Julia würde bestimmt sehr viel lieber seinen Sohn großziehen als das Kind von Fremden - obwohl er noch immer nicht abschätzen konnte, was Julia wirklich empfinden würde, wenn sie es erfuhr. Gaius konnte ihr jedoch, ohne zu lügen, versichern, daß sein Sohn gezeugt worden war, bevor er sie überhaupt kannte.
Zu Pferd brauchte man nur wenige Stunden, um Vernemeton zu erreichen. Mein Sohn lebt vielleicht hinter dem nächsten Hügel, dachte Gaius und blickte sehnsüchtig in Richtung Süden.
Aber dann erinnerte er sich an den letzten Anblick von Eilan, und er gestand sich ein, daß er sich fürchtete, ihr noch einmal zu begegnen.
Haßt sie Rom? Haßt sie mich?
Die Frau, die er als junger Mann geliebt hatte, gab es nicht mehr. Sie hatte sich zu der schrecklichen Hohenpriesterin von Vernemeton verwandelt.
Manchmal hatte er den Eindruck, daß es die Frau, die er geheiratet hatte, auch nicht mehr gab. Julias Verspieltheit und ihr nicht zu leugnender Charme, den er einmal bewundert hatte, waren mit ihren Kinder gestorben.
Gaius hatte Erfolge aufzuweisen, obwohl er kaum die hochfliegenden Träume seines Vaters erfüllte. Aber in seinem Leben gab es keine Liebe. Wann immer er daran dachte, wuchs sein Entschluß, einen Weg zu finden, um seinen Sohn
Weitere Kostenlose Bücher