Die Wälder von Albion
wiederzusehen.
Eines Tages verfolgte Gaius die Wildschweine, die seine Felder übel zugerichtet hatten, tief in den Wald. Plötzlich stellte er zu seiner Überraschung fest, daß er in die Gegend gekommen war, wo Eilan ihren Sohn geboren hatte, denn er sah zwischen den Bäumen die Hütte.
Neugierig geworden, fragte er sich, ob jemand dort sein mochte, und folgte dem schmalen Pfad. Er wußte, daß er Eilan bestimmt nicht in der Hütte antreffen würde, aber vielleicht eine Priesterin, von der er etwas über sie erfahren konnte.
Zuerst glaubte er, die Hütte sei verlassen. Der Frühling zeigte sich in den schwellenden Knospen an den kahlen Zweigen, und in wenigen Wochen würde hier alles grün sein. Das schilfgedeckte Dach der Hütte war vom Sturm zerzaust und schwarz vom Regen. Auf der Erde lagen abgerissene Zweige und das Laub vom vergangenen Jahr.
Dann bemerkte er eine dünne Rauchfahne, die in die Luft stieg. Sein Hengst schnaubte, als Gaius die Zügel anzog, und ein Mann trat aus der Tür.
»Sei willkommen, mein Sohn«, sagte er freundlich. »Wer bist du, und weshalb bist du gekommen?«
Gaius nannte seinen Namen und musterte den Mann mißtrauisch. »Und wer bist du?« fragte er dann.
Der Mann war groß, hatte ein vom Wetter gegerbtes Gesicht und tiefschwarze Haare. Er trug ein rauhes Gewand aus Ziegenhaar und hatte einen langen, struppigen Bart.
Gaius dachte, es sei vielleicht ein umherziehender Wanderer, der in der unbewohnten Hütte Zuflucht gefunden hatte. Aber dann sah er das kleine hölzerne Kreuz an einem Lederband um seinen Hals und wußte, daß es sich um einen dieser Christen handelte. Vielleicht war er ein Einsiedler, wie sie in den letzten Jahren überall im römischen Reich an einsamen Plätzen anzutreffen waren. Gaius hatte gehört, daß man sie in Ägypten ebenso fand wie in Nordafrika. Trotzdem war es seltsam, auf einen solchen Mann hier im Wald von Vernemeton zu stoßen.
»Wer bist du, und was tust du hier?« fragte er noch einmal.
»Ich bin hierher gekommen, um die verlorenen Seelen zu Gott zurückzubringen«, antwortete der Einsiedler. »In der Welt nannte man mich Lycias, jetzt heiße ich Vater Petros. Dich hat bestimmt Gott zu mir geschickt, weil du Hilfe brauchst. Was kann ich für dich tun?«
»Woher weißt du, daß Gott mich zu dir geschickt hat?« fragte Gaius und mußte gegen seinen Willen über die Einfalt des Mannes lächeln.
»Du bist doch hier, oder nicht?« erwiderte Vater Petros.
Darauf konnte Gaius natürlich nichts erwidern. Er hob die Schultern, und Petros fuhr fort: »Glaube mir, mein Sohn, nichts geschieht ohne das Wissen Gottes, der auch die Sterne am Himmel geschaffen hat.«
»Nichts?« rief Gaius mit einer Bitterkeit, die ihn selbst erstaunte. Irgendwann in den letzten Jahren, vielleicht als er vom Tod Agricolas hörte, oder vielleicht, während er Tag für Tag Julias Leid mitansah, hatte er aufgehört, an die Götter zu glauben.
»Dann kannst du mir vielleicht sagen, welcher Gott einer liebenden Mutter einen Sohn und eine Tochter nehmen würde?«
»Ist das dein Kummer?« Vater Petros hielt die Tür weit auf. »Komm herein, mein Sohn. Solche Dinge lassen sich nicht mit einem Satz beantworten. Dein armes Pferd könnte auch eine Rast brauchen, denn es sieht müde aus.«
Gaius mußte ihm recht geben, denn er hatte den Hengst an diesem Tag lange laufen lassen. Er führte ihn zu einem dicken Baum und band ihn mit einem langen Zügel fest, damit er das trockene Gras fressen konnte. Dann folgte er Vater Petros in die Hütte.
Der Einsiedler stellte einen Becher auf den einfachen Holztisch und fragte: »Was kann ich dir anbieten? Ich habe Bohnen und Rüben und sogar etwas Wein. Bei dem Wetter hier kann ich nicht so oft fasten, wie ich es im wärmeren Klima getan habe. Ich trinke nur Wasser, aber den Gästen, die zu mir kommen, darf ich diese weltliche Dinge anbieten.«
Gaius begriff, daß er einem Philosophen begegnet war. »Ich trinke gern einen Schluck Wein. Aber mach dir keine falschen Hoffnungen, du wirst mich nie davon überzeugen, daß dein Gott allmächtig oder gut ist. Wenn dein Gott allmächtig wäre, warum kann er dann nicht das Leid verhindern? Und wenn er es kann und nicht tut, warum sollten die Menschen ihn dann verehren?«
»Ah!« rief Vater Petros, »deine Frage verrät deine Ausbildung in stoischer Philosophie, denn du redest wie ein Stoiker. Aber die Philosophen irren sich und haben das Wesen Gottes nicht richtig verstanden.«
»Und du irrst dich
Weitere Kostenlose Bücher