Die Wälder von Albion
du willst, Frauen verstehen mehr vom Regieren als Männer, denn schließlich muß jede Frau Ordnung in ihrem Haus halten. Deshalb ist eine Frau besser dazu geeignet, über einen Stamm oder ein Volk zu herrschen als ein Mann, der nur gelernt hat, im Kampf die Befehle seines Häuptlings auszuführen.«
»Für einen Stamm trifft das vielleicht zu«, entgegnete Gaius, »aber es wäre absurd, wenn eine Frau an der Spitze einer Legion stehen würde… oder über ein großes Reich wie das Reich der Cäsaren herrschen sollte.«
»Ich bin da anderer Meinung«, erklärte Eilan. »Eine Frau, die in der Lage ist, einen großen Haushalt zu führen, kann mit Sicherheit auch ein großes Reich regieren. Sie ist grundsätzlich nicht schlechter als ein Mann. Gibt es nicht auch bei den Römern große Königinnen?«
Gaius verzog das Gesicht. Er erinnerte sich an die Geschichtslektionen seines griechischen Lehrers.
»Zur Zeit der claudinischen Kaiser«, erwiderte er nachdenklich, »gab es einmal eine böse alte Frau. Sie hieß Livia und war die Mutter des göttlichen Tiberius. Sie ließ alle ihre Verwandten vergiften. Vielleicht halten die Römer deshalb nicht viel von Frauen auf dem Thron.«
Sie waren beim Reden auf die andere Seite der Feuer gegangen, wo das Hügelgrab zum Festplatz abfiel.
»Gawen, glaubst du, daß Frauen böse sind?« fragte Eilan.
» Du bestimmt nicht… «, antwortete er und blickte ihr in die klaren Augen, die so rein waren wie das Wasser einer Quelle. In diesem Wasser wollte er versinken, um dort für alle Ewigkeit zu bleiben.
Eilan war eine Quelle der Wahrheit. Mit ihr verband sich nichts Schlechtes und Niedriges. In ihrer Nähe fühlte er noch nie erlebte Vollkommenheit und ein unbeschreibliches Glück. Er hatte schon immer davon geträumt und sich mit seinem ganzen Wesen danach gesehnt, aber sein Leben in der Legion schien ihn nur weiter davon zu entfernen.
In diesem Augenblick erschien es ihm unerträglich, daß er noch länger mit seiner Lüge leben sollte. Es widersprach jeder Vernunft, aber Gaius spürte, daß er ihr sein Leben anvertrauen konnte. Und wenn er ihr verriet, wer er in Wirklichkeit war, lag sein Leben vermutlich tatsächlich in ihrer Hand.
Auf dem Platz hinter ihnen wurde es laut. Sie hatten bereits seit einiger Zeit Rufe und Singen gehört. Jetzt schwoll der Lärm an, und Gaius sah, daß Männer Puppen aus Stroh oder Weidengeflecht - es sollten offenbar Menschengestalten sein, aber sie glichen mehr den bösen Geistern aus einem Alptraum - zu den Feuern trugen. Er sah sogar eine Strohpuppe mit dem Helm und der Rüstung eines römischen Legionärs. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, und wieder einmal erinnerte er sich an Cäsars Geschichten von Menschenopfern. Erschrocken sah er Eilan an.
»Keine Angst«, rief sie lachend, als sie sein Gesicht sah, »das sind doch nur Puppen. Die Römer erlauben uns keine Menschenopfer, und selbst in alten Zeiten wurde nur alle sieben Jahre ein Mann geopfert. Es war der Sommerkönig oder sein Stellvertreter, und er starb, um das Land zu erneuern.«
»Du bist die Tochter eines Druiden«, sagte er und setze sich erschöpft ins Gras. »Ich nehme an, du solltest es ja wissen.«
Lächelnd setzte sie sich neben ihn. »Ich habe nicht das Wissen wie die Priesterinnen in Vernemeton, aber ich kenne eine Geschichte, und die will ich dir gerne erzählen. Man sagt, der von der Göttin Erwählte wurde ein Jahr vor dem Opfergang wie ein König verehrt. Die Auszeichnung war auch für seine Familie eine große Ehre. Dem Sommerkönig wurde jeder Wunsch erfüllt. Er bekam die besten Speisen und den besten Wein. Man überließ ihm die schönsten jungen Frauen, und es war eine hohe Ehre, dem Sommerkönig ein Kind zu gebären. Sogar die der Göttin geweihten Frauen waren für ihn nicht unerreichbar, obwohl jeder andere sterben mußte, wenn er eine Priesterin zu seiner Liebsten machte. Und dann, am Ende des Jahres… «, sie zögerte, »wurde er dem Feuer übergeben… «
Eilan saß so dicht neben ihm, daß er den frischen Duft der Wiesenblumen auf ihrem Haar roch.
»Ich habe gehört, daß es in Rom einen neuen Kult gibt. Die Anhänger nennen sich die Nazarener, und sie glauben, ihr Prophet war der Sohn ihres Gottes. Dieser Prophet, behaupten sie, sei für ihre Sünden gestorben«, sagte Gaius. Er persönlich verehrte Mithras, den Gott der Soldaten.
»Es gibt sie nicht nur in Rom«, sagte Eilan. »Wie ich von meinem Vater weiß, sind einige nach Albion
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