Die Wälder von Albion
unbedingt Ruhe… « Mit einem Blick auf Eilan, die verwirrt die Hände auf den Kopf gelegt hatte, sagte sie: »Du solltest auch schlafen… «
Eilan schüttelte den Kopf und versuchte, sich wieder in dieser Welt zurechtzufinden. »Das war alles zu viel und zu schrecklich. Ich glaube, selbst wenn ich versuchen würde zu schlafen, ich könnte es nicht.«
Caillean lachte leise. »Um ehrlich zu sein, ich auch nicht! Die Männer haben mir große Angst gemacht. Ich glaubte zuerst, kein Wort über die Lippen bringen zu können. Ich dachte, ich hätte diese Sprache längst vergessen… Es sind so viele Jahre vergangen, seit ich Leute aus Eriu getroffen habe.«
»Du hattest Angst?« fragte Eilan verblüfft. »Das hat man dir aber nicht angesehen. Du schienst die leibhaftige Göttin zu sein, als sie vor dir standen.«
Caillean lachte wieder bitter.
»Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen, Kleines. Du mußt lernen, nicht alles zu glauben, was du siehst oder was die Menschen zu dir sagen.«
Eilan blickte ins Feuer. Über der Glut begannen die Flammen zu züngeln, als Caillean Holz nachlegte. Bald knackte und prasselte das Feuer wieder. Eilan senkte den Kopf, denn sie mußte an die große Täuschung denken, die sie wie eine tiefe Wunde Tag und Nacht schmerzte. Der Mann, den sie als Gawen geliebt hatte, war eine Illusion gewesen, und auch Gaius, den Römer, liebte sie - doch wieder war alles so hoffnungslos. Bestimmt würde sie Gaius nie wiedersehen.
Nein, dachte sie, er hat mich nicht getäuscht! Er hat mir die Wahrheit anvertraut. Und ich würde ihn jederzeit erkennen, wie er auch aussehen mag.
Die Welt um sie herum begann wieder zu versinken. Ein helles Licht kam auf sie zu. Eilan sah etwas vor sich, das weder Gesicht, Gestalt noch einen Namen hatte. Es war warm und leuchtend. Es schien alle ihre Wunden zu heilen, und ein inneres Glück stieg in ihr auf, wie sie es in der Nacht von Beltane erlebt hatte, als Gaius neben ihr saß und sie küßte.
Ein Ast im Feuer knackte, und die Vision war verschwunden, aber die Kraft blieb in ihr und öffnete ihr das Herz. Sie richtete den Blick auf die Priesterin, die ebenso bedrückt war wie sie, und eine Stimme sprach aus ihr: »Sag du mir die Wahrheit!«
Es klang nicht wie ein Befehl, eher wie eine Verheißung. Eilan - war sie das junge Mädchen oder die Frau im See? - blickte Caillean mit ihren großen, grauen Augen fragend an.
»Wie ist das Kind aus der armseligen Hütte zu einer Priesterin geworden, die Glut in den Händen halten kann?«
Sag mir die Wahrheit…
Caillean erwiderte verblüfft den Blick, der bis in ihre Seele drang. Die Worte hallten wie ein Echo in ihr nach und führten die Priesterin zurück in die Vergangenheit. Welche Wahrheit würde aus der Tiefe auftauchen, um sie zu quälen? Die Sprache der Kindheit war ihr schlagartig wieder ins Bewußtsein gedrungen, als sie bedroht wurden. Aber jetzt schien etwas anderes zu drohen… Erinnerungen, die sie hatte vergessen wollen, vergessen müssen.
»Bist du damals mit Lhiannon sofort nach Vernemeton gegangen?« fragte Eilan.
»Nein, ich glaube, Vernemeton gab es damals noch nicht.«
Es kostete Caillean große Überwindung, Eilans Frage zu beantworten, aber sie hatte das Gefühl, es tun zu müssen.
»Lhiannon war nach Eriu gekommen, um dort bei den Bean-Drui zu lernen. Als sie nach Albion zurückkehrte, lebten wir zunächst in einem runden Turm an der Küste. Das war weit im Norden von hier. Ich erinnere mich an einen Ring aus weißen Steinen, der um den Turm lag. Jeder Mann, mit Ausnahme des höchsten Druiden… aber das war damals noch nicht Ardanos, sondern sein Vorgänger… . der in den Ring dieser Steine trat, mußte die Kühnheit mit dem Leben bezahlen. Lhiannon behandelte mich immer wie ihr Ziehkind. Als man sie einmal nach meiner Herkunft fragte, sagte Lhiannon, sie habe mich am Strand gefunden, wo man mich ausgesetzt hatte. Vielleicht ist es wirklich so gewesen. Ich habe jedenfalls niemals mehr jemanden von meiner Familie gesehen.«
»Hat dir deine Mutter nicht gefehlt?«
Caillean zögerte. Sie mußte gegen die Flut der Erinnerungen ankämpfen, die immer heftiger auf sie einstürmten. Schließlich sagte sie leise: »Ich nehme an, du hast eine gute und liebevolle Mutter. Ich weiß nur noch wenig von meiner Mutter, aber soviel doch: Sie war anders. Sie war bestimmt nicht böse, aber ich habe ihr wenig bedeutet.« Verwirrt blickte sie Eilan an.
Was für Kräfte besitzt du , dachte
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