Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wälder von Albion

Die Wälder von Albion

Titel: Die Wälder von Albion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
Vom Netzwerk:
Caillean gesprochen hatte. Lhiannon war zwar alt, aber man konnte sich nicht vorstellen, daß menschliches Leid oder Leidenschaften sie jemals berührt hatten. Sie schritt in ihren langen Gewändern, eingehüllt in eine Wolke von Lavendelduft durch das Heiligtum, lächelte freundlich, aber unbestimmt und schien von allem losgelöst, als lebe sie in einer anderen, in ihrer persönlichen Wirklichkeit.
    Caillean liebte Lhiannon. Eilan mußte sich immer wieder daran erinnern, daß die ältere Priesterin, zu der sie durch die Nacht der Geburt von Mairis Kind eine besonders starke Verbindung hatte, in der Hohenpriesterin etwas sah, das sie nicht wahrnahm. Aber sie glaubte daran, daß es etwas Geheimnisvolles gab, das sich ihr vielleicht auch eines Tages erschließen würde.
    Als die Novizinnen die Dinge lernten, die ihnen Zugang zu den höheren Ebenen verschaffen würden, prägte sich Eilan alles mit großer Gewissenhaftigkeit ein. Visionäre Träume und Eingebungen waren ihr von Kindheit an vertraut. Sie stellten sich bei ihr mühelos und unvermittelt ein. Jetzt lernte sie, Visionen bewußt zu rufen, und wenn notwendig, sie von sich fernzuhalten.
    Eilan lernte auch, in die Zukunft zu blicken und etwas zu sehen, das sich weit weg befand oder an einem anderen Ort geschah. Zu den ersten Dingen, die sie so sah, gehörte der Kampf mit den Räubern, die ihr Elternhaus in Brand gesetzt hatten. Ihr Vater und Cynric ritten an der Spitze ihrer Krieger, begleitet von einem römischen Reitertrupp. Eilan sah zu ihrem Staunen, daß Cynric Seite an Seite mit den Römern kämpfte. Offenbar hatte er eingesehen, daß es etwas Wichtigeres geben konnte als sein Haß auf die Römer.
    Als sich die Nebel in der Wasserschale auflösten, sah sie, wie Britonen und Römer die Räuber einkreisten, die an der Küste ihr Lager aufgeschlagen hatten. Dann wurden sie systematisch niedergemacht. Eilan beobachtete gebannt, wie die Krieger die Anführer der Feinde erschlugen und anschließend ihre seltsamen runden Schiffe verbrannten. Einen geblendeten und aus vielen Wunden blutenden Mann setzten sie in das einzige Boot, das sie nicht zerstört hatten, und überließen ihn seinem Schicksal. Bendeigid hob beschwörend die Hände. Er rief den Wind und beruhigte die Wellen, damit der Mann Eriu erreichte und die Nachricht vom Schicksal der Plünderer überall bekannt wurde.
    »Sag allen, die dich fragen, sag es im Norden und im Westen«, rief er mit blitzenden Augen, »wenn ihr je wieder an diese Küste kommt, dann erwartet euch dasselbe Geschick - jeden einzelnen, ohne Ausnahme!«
    Eilan hatte noch nie einen richtigen Kampf gesehen. Das Morden und Blutvergießen erfüllte sie mit Entsetzen. Die Härte und Grausamkeit der Männer kamen ihr animalisch und wenig menschenwürdig vor. Als sie später mit Caillean darüber sprach, sagte die ältere Frau, es sei der Wille der Göttin, daß diese Barbaren für ihre Frevel starben.
    »Lhiannon mahnt meist zum Frieden. Das weißt du. Aber wer die Gesetze der Götter vorsätzlich übertritt, verliert die Würde des Menschen und sinkt auf die niedersten Ebenen. Nicht das vergossene Blut ist die Strafe, nicht der körperliche Tod, sondern der Verlust des Göttlichen.«
    Eilan hatte mit angehaltenem Atem in das Wasser geblickt und ängstlich nach Gaius Ausschau gehalten. Aber sie sah ihn nicht. War er vielleicht bereits ums Leben gekommen? Hatte er Deva längst verlassen, weil er glaubte, sie sei tot? Sie seufzte.
    Vermutlich ist es besser, wenn er glaubt, ich sei tot, wenn er nicht denkt, ich hätte ihn verraten…
    Trotzdem staunte Eilan, wie schrecklich ihr der Gedanke war, daß Gaius möglicherweise nicht mehr lebte.
    In der Nacht von Beltane war es ihr vorgekommen, als seien sie untrennbar, als würden sie sich seit Ewigkeiten kennen. Aber jetzt waren sie voneinander getrennt.
    Wenn er tot ist, würde ich es bestimmt wissen, tröstete sie sich, aber sie konnte ein Zittern nicht unterdrücken. Sie stand auf und goß das Wasser vor die Tür.

    Nach und nach ließ das ruhige Leben in Vernemeton den Schmerz vergehen, der sich mit Gaius verband. Und auch die Gedanken darüber, wie anders ihr Leben hätte sein können, quälten sie nicht mehr.
    Die alte Latis hatte Eilan besonders ins Herz geschlossen. Die Priesterin freute sich darüber, mit welcher Hingabe sie alles über das Heilen wissen wollte. Eilan nahm großen Anteil am Leiden der Kranken und hatte Mitgefühl für ihre Schmerzen. Zwar durfte sie das Heiligtum noch

Weitere Kostenlose Bücher