Die Wälder von Albion
abgelegt hatte, konnte sie sich so sehr öffnen, daß die Göttin sie als ihre Stimme benutzte. In solchen Augenblicken war sie in der Tat eine sehr große Priesterin und, wie Eilan fand, beinahe mehr als ein Mensch.
Aber als Dienerin einer so großen Kraft zahlte sie mit ihrem Körper und ihrem Bewußtsein einen sehr hohen Preis. Eilans Achtung vor ihr wuchs, als sie feststellte, daß Lhiannon ohne Zögern bereit war, ihn zu bezahlen. Und falls das Wandern zwischen den Welten sie über das erträgliche Maß hinaus erschöpfte, dann erfuhr es niemand, denn Lhiannon beklagte sich nie.
Als Eilan schließlich zum ersten Mal an der Seite der Hohenpriesterin Vernemeton und seinen heiligen Bezirk verließ, wurde ihr bewußt, wie die zurückliegenden Wochen sie verändert hatten.
Sogar das Haus der jungen Frauen schien ihr entrückt und nicht mehr vertraut. Als ihnen auf dem Weg zum Tor ein paar Novizinnen eilig den Weg freimachten, bemerkte Eilan es kaum. Erst sehr viel später erinnerte sie sich daran und begriff, daß die Frauen an ihr dieselbe überirdische Unnahbarkeit gesehen hatten, die Eilan stets mit Lhiannon in Verbindung brachte.
Es hatten Wettkämpfe stattgefunden, der Markt wurde abgehalten und man entzündete die großen Sonnenfeuer. Eilan empfand den Lärm als viel zu laut, die schweißbedeckten Körper der Männer abstoßend und derb. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, daß sie jemals den Wunsch gehabt hatte, sich einem Mann hinzugeben.
Der Sieger der Wettkämpfe wurde mit einer Blumengirlande geehrt und erhielt den Ehrenplatz beim Fest. Eilan erinnerte sich daran, was sie über die Mysterien gelernt hatte, und beobachtete die Zeremonie mit neuen Augen. Sie wußte, daß früher in Notzeiten oder bei bestimmten Stämmen alle sieben Jahre der neue Sommerkönig an diesem Tag möglicherweise mitansah, wie sein Vorgänger verbrannt wurde. Das Wissen um den Opfergang verlieh dem König eine große, eine überirdische Macht, denn er war zum Vermittler zwischen Menschen und Göttern bestimmt. Die Römer hatten den rituellen Opfertod verboten, aber trotzdem besaß er noch etwas von der alten göttlichen Macht.
Das römische Reich hatte die Anführer der Stämme getötet oder romanisiert. Aber es gab noch immer junge Männer, die bereit waren, ihr Leben für das Volk zu opfern, wenn die Umstände es erfordern sollten. Deshalb gelang es den Römern nicht, die Wahl der Sommerkönige zu verhindern. Jahr für Jahr garantierten sie die Sicherheit der anderen und waren das Sinnbild der Göttlichkeit für alle, die sonst das Wesen der Götter und ihr Wirken auf der Erde nicht länger verstanden hätten.
Wenn eine Katastrophe das Land befiel und im kommenden Jahr ein Opfer erforderlich war, dann würde der junge Mann trotz der römischen Verbote freiwillig sterben. Als Anerkennung dafür besaß er als einziger das Recht, sich jede Frau zu wählen, die er haben wollte - auch eine der jungen Priesterinnen von Vernemeton, wenn sein Auge auf sie fiel.
Eilan dachte mit einem leichten Schauer an Miellyn und wich nicht von Lhiannons Seite. Sie sah, wie die Krieger brennende Äste und Zweige aus dem Feuer rissen und sie hoch in die Luft warfen, damit das Getreide wachsen und reifen sollte. Wein und Bier machte die Menschen immer ausgelassener und enthemmter. Aber Eilan hatte keine Angst, denn niemand würde ihr zu nahe treten, solange sie neben der Hohenpriesterin stand. Selbst der Sommerkönig war nie so verwegen gewesen, eine Priesterin des Orakels für sich zu beanspruchen.
Auch Caillean und Dieda gehörten zu Lhiannons Gefolge und Huw, dessen riesenhafte Gestalt jeden abschreckte.
Und als dann die Hohepriesterin die Göttin beschwor, zu den Menschen zu sprechen, als die Stimme aus anderen Welten den Segen der guten Kräfte verhieß, die Frieden schenkten und eine reiche Ernte, da wußte Eilan mit innerer Sicherheit, daß auch sie zu dieser Aufgabe bestimmt war - wie groß das Opfer auch sein würde, das damit von ihr verlangt wurde.
Der Sommer ging vorbei, und Eilan fühlte sich in Vernemeton inzwischen so gut wie zu Hause. Als sie der Hohenpriesterin regelmäßig bei den Zeremonien diente, wich jedoch nach und nach alle Begeisterung, die sie anfangs empfunden hatte. In den langen Stunden des Zweifels dachte sie immer öfter an Gaius und sehnte sich nach seiner Liebe und seiner Zärtlichkeit. Manchmal war sie in ihren Träumen an seiner Seite und lebte das Leben, das ihr versagt war. Die Tage danach wurden um so
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