Die Waffen nieder!
leuchten lasse ... daß er mit den Gästen nicht unhöflich sei.
»Otto ist nicht zu Hause,« antwortete mein Vater, »er ist heute früh auf Rebhühner ausgegangen. Du hättest ihn sehen sollen, wie schmuck ihm der Jagdanzug steht ... das wird ein prächtiger Bursch – an dem habe ich meine Freude.« Indessen wurde es im Hause laut; man hörte hastige Schritte und aufgeregte Stimmen.
»Sie kommen schon, die Windbeutel!« seufzte mein Vater.
Die Tür wurde aufgerissen und Franz, der Kammerdiener, stürzte herein:
»Die Preußen, die Preußen!« rief er in dem Tone, wie man »Feuer, Feuer!« ruft.
»Die werden uns nicht fressen,« bemerkte mein Vater mürrisch.
»Aber sie bringen einen mit,« fuhr der Mann mit zitternder Stimme fort, »einen Grumitzer – ich weiß nicht wer – der auf sie geschossen hat – und wer soll auf solches Pack nicht gern schießen? ... aber der ist verloren.«
Jetzt vernahm man den Laut von Pferdegetrampel mit Stimmengewirr vermengt. Wir traten auf den Flur und schauten durch die nach dem Hof gehenden Fenster. Soeben kamen die Ulanen hereingeritten und in ihrer Mitte – mit trotzigem, bleichem Gesicht – Otto, mein Bruder.
Der Vater stieß einen Schrei aus und eilte die Treppe hinab. Mir stand das Herz still. Was da bevorstand, war entsetzlich. Wenn Otto wirklich auf die preußischen Soldaten geschossen hatte – und das sah ihm sehr ähnlich – ich vermochte den Fall gar nicht auszudenken ....
Dem Vater nachzugehen, fehlte mir der Mut. Trost und Beistand in allen Kümmernissen suchte ich stets nur bei Friedrich. Also raffte ich mich auf, um mich in Friedrichs Zimmer zu begeben. Ehe ich jedoch dahin gelangte, kam mein Vater wieder zurück und Otto hinter ihm. An ihren Mienen sah ich, daß die Gefahr vorüber war.
Das Verhör hatte folgendes ergeben: Der Schuß war zufällig losgegangen. Als die Ulanen herangeritten kamen, wollte Otto sie von der Nähe sehen; er lief querfeldein, stolperte, fiel am Straßengraben nieder und dabei entlud sich sein Gewehr. Im ersten Augenblick war die Aussage des jungen Jägers von den Leuten bezweifelt worden; sie nahmen ihn in ihre Mitte und brachten ihn als ihren Gefangenen in das Schloß. Als sich aber herausstellte, daß der Jüngling der Sohn des Generals Althaus und selber ein Militärzögling sei, ließen sie seine Rechtfertigung gelten. »Der Sohn eines Soldaten und selber angehender Soldat wird auf gegnerische Soldaten wohl im ehrlichen Kampfe, nicht aber zur Zeit der Waffenruhe und nicht meuchlings schießen.« Auf diese Worte meines Vaters hin hatte der preußische Unteroffizier den jungen Menschen freigegeben.
»Und bist du wirklich unschuldig?« fragte ich Otto, »bei deinem Preußenhaß würde es mich nicht wundern, wenn –«
Er schüttelte den Kopf:
»Ich werde hoffentlich im Leben noch genug Gelegenheit haben,« antwortete er, »ein paar solchen draufzuschießen – aber nicht aus dem Hinterhalt – nicht, ohne auch meine Brust ihren Kugeln auszusetzen.«
»Brav, mein Junge!« rief mein Vater, von diesen Worten entzückt.
Ich konnte das Entzücken nicht teilen. Alle diese Phrasen, in welchen mit dem Leben – dem der anderen und dem eigenen – so geringschätzig und prahlerisch herumgeworfen wird, haben mir einen widerlichen Klang. Doch war ich von Herzen froh, daß die Sache so abgelaufen. Wie entsetzlich wäre es doch für meinen armen Vater gewesen, wenn diese Leute den vermeintlichen Missetäter ohne weitere Umstände gleich abgestraft hätten. Da würde der unselige Krieg, von dem unser Haus bisher verschont geblieben, es doch noch ins Unglück gestürzt haben ....
Die betreffende Abteilung war richtig gekommen, Quartier zu machen. Schloß Grumitz war ausersehen, zwei Oberste und sechs Offiziere des preußischen Heeres zu beherbergen. Im Dorf sollte die Mannschaft untergebracht werden. Zwei Mann wurden im Schloßhof als Wache aufgestellt.
Ein paar Stunden nach den Quartiermachern zogen die unfreiwilligen und ungeladenen Gäste schon bei uns ein. Wir waren seit mehreren Tagen auf den Fall vorbereitet gewesen und Frau Walter hatte dafür gesorgt, daß alle Gastzimmer und Betten bereit standen. Auch der Koch hatte genügende Vorräte herbeigeschafft, und der Keller barg eine erkleckliche Anzahl voller Fässer und alter Flaschen: den Herren Preußen sollte es bei uns an nichts fehlen.
* * *
Als sich an diesem Tage die Schloßgesellschaft auf das Zeichen der Tischglocke im Salon versammelte, bot dieser ein glänzendes
Weitere Kostenlose Bücher