Die Waffen nieder!
... und was ich im Kriege geübt, das habe ich jetzt unwillkürlich in der Liebe wieder ausgeführt ... Verzeihen Sie – und seien Sie mir gnädig. Sie schweigen, Komtesse? Verweigern Sie mir Ihre Hand?«
»Meine Schwester kann doch nicht auch so rasch über ihr Schicksal entscheiden,« kam ich Rosa, welche tiefbewegt und abgewandten Hauptes dastand, zu Hilfe. »Ob unser Vater seine Einwilligung zur Heirat mit einem ›Feinde‹ geben, ob Rosa die so plötzlich eingeflößte Neigung auch erwidern wird – wer kann das heute wissen?«
»Ich weiß es,« antwortete sie und reichte dem jungen Manne beide Hände hin. Er aber riß sie stürmisch an sein Herz.
»O, ihr närrischen Kinder!« sagte ich und zog mich leise einige Schritte zurück, bis zur Saaltür, um zu wachen, daß – wenigstens in diesem Augenblick – niemand herauskomme.
* * *
Am folgenden Tag ward die Verlobung gefeiert.
Mein Vater leistete keinen Widerstand. Ich hätte geglaubt, daß sein Preußenhaß es ihm unmöglich machen würde, einen der feindlichen Krieger und Sieger in seine Familie aufzunehmen; aber sei es, daß er die individuelle von der nationalen Frage gänzlich trennte – (ein gebräuchliches Vorgehen: »Ich hasse jene als Nation, nicht als Individuen« hört man häufig beteuern, obschon es keinen Sinn hat, ebensowenig Sinn, als wollte einer sagen: »Ich hasse den Wein als Getränk, aber jeden Tropfen verschlucke ich gern« – doch vernünftig braucht ja eine landläufige Phrase nicht zu sein – im Gegenteil) sei es, daß der Ehrgeiz die Oberhand gewann und eine Verbindung mit dem fürstlichen Hause Reuß ihm schmeichelte; sei es endlich, daß die so romantisch geäußerte, plötzliche Liebe der jungen Leute ihn rührte: kurz, er sprach ein ziemlich freiwilliges Ja. Weniger einverstanden war Tante Marie. »Unmöglich!« war ihr erster Ausruf. »Der Prinz ist ja lutherischer Konfession.« Aber schließlich tröstete sie sich mit der Aussicht, daß Rosa ihren Gatten wahrscheinlich bekehren werde. Im Herzen Ottos grollte es am tiefsten. »Wie, wollt ihr,« sprach er, »wenn wieder Krieg ausbricht, daß ich meinen Schwager aus dem Lande verjage?« Aber auch ihm wurde die famose Theorie von dem Unterschiede zwischen Nation und Individuum erläutert und – zu meinem Staunen, denn ich habe sie nie begriffen – er begriff sie.
Wie schnell und leicht man doch unter freudigen Umständen das durchgemachte Elend vergißt! Zwei Liebespaare – oder, ich kann es kühnlich sagen, drei , denn Friedrich und ich, die Vermählten, schwärmten nicht viel weniger füreinander, als die Verlobten – also so viele Liebespaare in der kleinen Gesellschaft, das ergab doch eine glücksgehobene Stimmung. Schloß Grumitz war in den folgenden paar Tagen eine Stätte der Heiterkeit und Lebenslust. Allmählich fühlte auch ich die Schreckensbilder der vergangenen Wochen aus meinem Gedächtnis entweichen. Nicht ohne Gewissensbiß wurde ich gewahr, wie mein vor kurzer Zeit noch so brennender Mitschmerz in manchen Augenblicken ganz entschwand. – Von der Außenwelt klang wohl noch immer Trauriges herüber: die Klagen der Leute, die in dem Kriege Hab und Gut oder teure Häupter verloren; Nachrichten von drohenden Finanzkatastrophen, von ausbrechenden Seuchen: die Cholera, hieß es, habe sich unter den preußischen Mannschaften gezeigt – sogar in unserem Dorfe wurde ein Fall signalisiert – freilich ein zweifelhafter: »Es wird die Ruhr sein – die tritt ja jeden Sommer auf«, tröstete man sich. Nur immer verjagen – die trüben Gedanken und die bösen Befürchtungen: »Es ist nichts« – »es ist vorbei« – »es wird nichts kommen« – das ist so leichtgedacht. Man braucht nur eine heftig schüttelnde Kopfbewegung zu machen und die unliebsamen Vorstellungen sind verscheucht ...
»Hörst du, Martha,« sagte mir eines Tages die glückliche Braut, »dieser Krieg war freilich etwas Schauderhaftes, aber ich muß ihn doch noch segnen. Wäre ich ohne ihn so maßlos glücklich geworden, wie ich es jetzt bin? Hätte ich Heinrich jemals kennen gelernt? Und er – hätte er jemals eine so liebende Braut gefunden?«
»Nun gut, liebe Rosa, ich will gern diese Auffassung mit dir teilen: – es mögen eure zwei beglückten Herzen gegen die vielen Tausende gebrochen in die Wagschale fallen ...«
»Nicht nur um Einzelsckicksale handelt es sich, Martha. Auch im großen und ganzen bringt der Krieg – für jene, die siegen – einen großen Gewinn, also einem ganzen
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