Die Waffen nieder!
zur Wonne. Wenn uns Kulturmenschen im Kriege mitunter noch dieselbe Lust durchrieselt, so ist dies eine angeerbte Reminiszenz. Und damit jetzt, wo es in Europa weder Wilde noch Raubtiere gibt, uns jene Wonne nicht ganz entgehe, haben wir uns künstliche Angreifer geschaffen. Da heißt es: Paß auf: ihr habt blaue Röcke und die dort drüben haben rote Röcke sobald dreimal in die Hände geklatscht wird, verwandeln sich für euch die Rotröcke in Tiger, während für jene ihr Blauröcke zu wilden Bestien werdet. Alle Achtung: Eins, zwei, drei – Sturm geblasen – Attacke getrommelt – jetzt kann's losgehen – freßt euch auf! – Und haben sich zehntausend, oder je nach dem gesteigerten Heeresstand, hunderttausend Kunsttiger unter gegenseitigem Kampfeswonne-Geheul bei Xdorf aufgefressen, so gibt das die »historisch« zu werden bestimmte Xdorfer Schlacht; die Händeklatscher versammeln sich alsdann um einen grünen Kongreßtisch in Xstadt, regeln auf der Karte verschobene Grenzmarken, feilschen über Kontributionsbeträge, unterschreiben ein Papier, welches in die Geschichtsjahrbücher als der Xstädter Frieden eingetragen wird, klatschen abermals dreimal in die Hände und sagen den übriggebliebenen Rot- und Blaujacken: umarmt euch, Menschenbrüder!«
In der Umgebung waren überall Preußen einquartiert, und jetzt sollte auch Grumitz an die Reihe kommen.
Obgleich der Waffenstillstand schon in Kraft und der Friede beinahe gesichert war, so hegte die Bevölkerung noch allgemein Angst und Mißtrauen. Die Idee, daß die Pickelhauben-Tiger sie zerreißen würden, wenn sie könnten, war den Leuten nicht so leicht wegzunehmen; die drei Handschläge von Nikolsburg hatten die Wirkung der drei Handschläge der Kriegserklärung noch nicht aufzuheben vermocht, und nicht ausgereicht, um dem Landvolk in den »Preußen« wieder Menschenbrüder sehen zu machen. Der bloße Name des gegnerischen Volkes bekommt zu Kriegszeiten eine ganze Schar von hassenswerten Nebenbedeutungen – ist nicht mehr der Gattungsname einer augenblicklich bekriegten Nation, er wird synonym mit »Feind« und faßt allen Abscheu in sich, den dieses Wort ausdrückt.
So geschah es, daß die Leute in der Gegend zitterten, wie vor einbrechenden Wölfen, wenn ein preußischer Quartiermeister daherkam, um Unterkunft für einen Truppenteil zu schaffen. Bei manchen äußerte sich neben der Furcht auch der Haß, und diese wähnten, eine patriotische Pflicht zu erfüllen, wenn sie einem Preußen was zu leide taten – wenn sie aus einem Versteck heraus dem »Feind« eine Flintenkugel sandten. Es war dies öfters vorgekommen, und wenn man den Schuldigen faßte, wurde er ohne viel Umstände hingerichtet. Diese Beispiele bewirkten, daß die Leute ihren Haß verbissen und die einquartierten Soldaten ohne Widerstand aufnahmen. Dann gewahrten sie zu ihrem nicht geringen Erstaunen, daß der »Feind« eigentlich aus lauter gutmütigen, freundlichen und ehrlich zahlenden Mitmenschen bestand.
Eines Morgens – es war in den ersten Tagen des August – saß ich im Erker des Bibliothekzimmers und schaute durch die offenen Fenster hinaus. Von hier hatte man einen weiten Fernblick über die Gegend. Mir war's, als sähe ich von weitem einen Reitertrupp, der sich auf der Landstraße nach unserer Richtung bewegte.
»Preußische Einquartierung,« war mein erster Gedanke. Ich setzte ein im Erker stehendes Fernrohr zurecht und schaute nach dem betreffenden Punkt. Richtig: eine Gruppe von ungefähr zehn Reitern mit wehenden schwarz-weißen Fähnlein an den Lanzenspitzen. Darunter ein Fußgeher – im Jagdanzug. Warum ging der so zwischen den Pferden? ... Ein Gefangener? ... Das Glas war nicht scharf genug – ich konnte nicht erkennen, ob der vermeintliche Gefangene nicht etwa einer unserer Forstbeamten war.
Doch es hieß, die Schloßbewohner von dem kommenden Verhängnis in Kenntnis setzen. Ich verließ eilig das Bibliothekzimmer, um meinen Vater und Tante Marie aufzusuchen. Ich fand sie beide im Salon:
»Die Preußen kommen, die Preußen kommen!« meldete ich atemlos. Man ist immer froh, eine wichtige Nachricht als erster mitteilen zu können.
»Hol' sie der Teufel,« war meines Vaters wenig gastliche Äußerung, während Tante Marie das Richtige traf, indem sie sagte:
»Ich will sogleich der Frau Walter Befehle zu den nötigen Vorbereitungen geben.«
»Und wo ist Otto?« fragte ich. »Den muß man benachrichtigen und ihn warnen, daß er nicht etwa seinen Preußenhaß
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