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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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die sichere Aussicht auf das nahe Glück ließ das Scheideweh nicht recht aufkommen.
    Sichere Aussicht auf Glück? ... Die gibt es eigentlich nie – doch zu Kriegszeiten am allerwenigsten. Da schwebt das Unglück so dicht wie Heuschreckenschwärme in der Luft; und die Chancen, auf einem Fleckchen zu stehen, welches von der niedergehenden Geißel verschont bleibt, sind gar geringe.
    Freilich – der Krieg war aus. Das heißt, man hatte erklärt, daß der Frieden geschlossen sei. Ein Wort genügt, die Schrecknisse zu entfesseln, und da meint man wohl auch, ein Wort könne genügen, dieselben sogleich wieder aufzuheben – doch dies vermag kein Machtspruch. Die Feindseligkeiten werden eingestellt, aber die Feindseligkeit dauert fort. Der Samen für künftige Kriege ist gestreut und die Frucht des eben beendigten Krieges entfaltet sich weiter: Elend, Verwilderung, Seuchen. Ja, da half kein Leugnen und Nicht-dran-denken mehr: – die Cholera wütete im Lande.
    Es war am Morgen des 8. August. Wir saßen alle um den Frühstückstisch unter der Veranda und lasen unsere eben eingelaufenen Postsachen. Die zwei Bräute fielen über die an sie gerichteten Liebesbriefe her – ich blätterte in den Zeitungen. Aus Wien die Nachricht:
    »Die Cholera-Sterbefälle mehren sich bedenklich; nicht nur in den Militär-, auch in den Zivilspitälern sind schon viele Erkrankungen signalisiert, die als echte cholera asiatica bezeichnet werden müssen, und die energischsten Maßregeln werden allenthalben ergriffen, um der Verbreitung der Epidemie zu steuern.«
    Ich wollte die Stelle laut vorlesen, als Tante Marie, welche den Brief einer Freundin aus einem Nachbarschlosse in den Händen hielt, erschreckt aufschrie:
    »Entsetzlich! Betti schreibt mir, daß in ihrem Hause zwei Personen an der Cholera gestorben sind und jetzt auch ihr Mann erkrankt sei.«
    »Exzellenz, der Lehrer wünscht Sie zu sprechen.«
    Hinter dem Diener trat auch schon der Gemeldete heran. Er sah bleich und verstört aus:
    »Herr Graf, ich zeige ergebenst an, daß ich die Schule schließen muß. Gestern sind zwei Kinder erkrankt und heute – gestorben.«
    »Die Cholera?« riefen wir.
    »Ich denke wohl ... wir müssen´s beim Namen nennen. Die sogenannte »Ruhr«, welche unter den Soldaten, die hier einquartiert wurden, ausbrach und der schon zwanzig Mann erlegen sind – es war die Cholera. Im Dorf herrscht großer Schrecken, denn der Doktor, der aus der Stadt hierher gekommen, hat unverhohlen gesagt, daß die schreckliche Krankheit nunmehr zweifellos die hiesige Bevölkerung ergriffen hat.«
    »Was ist das?« fragte ich aufhorchend – »man hört läuten.«
    »Das ist das Sterbeglöckchen, Frau Baronin,« antwortete der Schulmeister. »Es wird wohl wieder jemand in den letzten Zügen liegen ... Der Doktor hat erzählt, daß in der Stadt die Sterbeglocke gar nicht mehr aufhört zu klingen –«
    Wir blickten einander alle in der Runde an – stumm und bleich. Hier war er also wieder – der Tod – und jeder von uns sah dessen knöcherne Hand nach dem Haupte eines Teuern ausgestreckt.
    »Fliehen wir!« schlug Tante Marie vor.
    »Fliehen, wohin?« entgegnete der Lehrer. »Ringsum ist ja das Übel schon verbreitet.«
    »Weit, weit weg – über die Grenze –«
    »Da wird wohl ein Kordon errichtet werden, über den man nicht hinaus kann.«
    »Das wäre ja entsetzlich! Man wird doch die Leute nicht hindern, ein verseuchtes Land zu verlassen?«
    »Gewiß – die gesunden Gegenden werden sich gegen Einschleppung verwahren.«
    »Was tun, was tun?!« Und Tante Marie rang die Hände.
    »Den Willen Gottes abwarten,« antwortete mein Vater mit einem tiefen Seufzer. »Du bist doch sonst so bestimmungsgläubig, Marie – ich verstehe deine Fluchtsehnsucht nicht. Eines jeden Menschen Schicksal erreicht ihn, wo er immer sei ... Aber immerhin – mir wäre es auch lieber, wenn ihr Kinder abreisen würdet – und du Otto, daß du mir kein Obst mehr anrührst.«
    »Ich werde sogleich an Bresser telegraphieren,« sagte Friedrich, »daß er uns Desinfektionsmittel sende« ...
    Was dann später folgte, ich kann es nicht mehr in seinen Einzelheiten erzählen, denn die Frühstücksepisode war die letzte, die ich zu jener Zeit in die roten Hefte eingetragen. Nur aus dem Gedächtnis kann ich die Ereignisse der nächsten Tage berichten. Furcht und Bangen erfüllte uns alle, alle. Wer könnte zur Zeit der Epidemie nicht zittern, wenn man unter teuern Wesen lebt? Über dem lieben Haupte eines jeden

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