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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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telegraphisch verlangten Medikamente brachte er selber. Ich hätte ihm die Hand küssen mögen, als er unerwartet in unsere Mitte trat, um den alten Freunden seine aufopfernden Dienste zu weihen. Er übernahm sofort den Oberbefehl des Hauses. Die zwei Leichen ließ er in eine entfernte Kammer schaffen, sperrte die Zimmer ab, in welchen die Armen gestorben und unterzog uns alle einer kräftigen desinfizierenden Prozedur. Ein intensiver Karbolgeruch erfüllte nunmehr alle Räume, und heute noch, wenn mir dieser Geruch entgegenweht, steigen jene Cholera-Schreckenstage vor meinem Geiste auf.
    Die geplante Flucht mußte ein zweites Mal unterbleiben. Schon stand am Tage nach Lillis Tode der Wagen bereit, welcher Tante Marie, Rosa, Otto und meinen Kleinen fortführen sollte, als der Kutscher – von dem unsichtbaren Würger erfaßt, wieder vom Kutschbock absteigen mußte.
    »Also will ich euch fahren,« sagte mein Vater, als ihm diese Nachricht gebracht wurde. »Schnell – ist alles bereit?« ...
    Rosa trat vor:
    »Fahret,« sagte sie – »ich muß bleiben ... ich ... folge der Lilli – –«
    Und sie sprach wahr. Bei Tagesanbruch wurde auch diese zweite junge Braut in die – Leichenkammer gebracht.
    Natürlich war in dem Schrecken dieses neuen Unglücksfalles die Abreise der anderen nicht ausgeführt worden.
    Mitten in meinem Schmerze, meiner tobenden Angst, ergriff mich auch wieder der tiefste Zorn gegen jene Riesentorheit, welche solches Übel freiwillig heraufbeschwört. Mein Vater war, als sie Rosas Leichnam hinausgetragen, in die Knie gefallen, den Kopf an die Mauer ...
    Ich trat hin und packte ihn beim Arm:
    »Vater,« sagte ich» – »das ist der Krieg«.
    Keine Antwort.
    »Hörst du, Vater? – Jetzt oder nie: willst du den Krieg verfluchen?«
    Er aber raffte sich auf:
    »Du erinnerst mich daran ... dieses Unglück will mit Soldatenmut getragen werden ... Nicht ich allein! das ganze Vaterland hat Blut- und Tränenopfer bringen müssen –«
    »Was hat denn dem Vaterland dein und deiner Brüder Leid gefrommt? Was frommen ihm die verlorenen Schlachten, was diese beiden geknickten Mädchenleben? – Vater – o tue mir die Liebe: fluche dem Krieg! Sieh her,« ich zog ihn zum Fenster hin – eben wurde auf einem Karren ein schwarzer Sarg in den Hof gerollt: »sieh her – das ist für unsere Lilli – und morgen ein gleicher für unsere Rosa ... und übermorgen vielleicht ein dritter – und warum, warum?!«
    »Weil Gott es so gewollt, mein Kind –«
    »Gott – immer Gott! ... Daß sich doch alle Torheit, alle Wildheit, alle Gewalttätigkeit der Menschen stets hinter diesem Schilde birgt! Gottes Wille.«
    »Lästere nicht, Martha, jetzt läst're nicht, da Gottes strafende Hand so sichtbar –«
    Ein Diener kam herbeigerannt:
    »Ex'lenz – der Tischler will den Sarg nicht in die Kammer tragen, wo die Komtessen liegen – und niemand traut sich hinein –«
    »Auch du nicht, Feigling?«
    »Ich kann nicht allein –«
    »So werde ich dir helfen – ich will meine Tochter selber ...« Und er schritt zur Tür. »Zurück!« schrie er mich an, da ich ihm folgen wollte. »Du darfst nicht mit – du darfst mir nicht auch noch sterben ... und denke an dein Kind!«
    Was tun? Ich schwankte ... Das ist das quälendste in solchen Lagen; nicht einmal zu wissen, wo die Pflicht liegt. Leistet man den Kranken und den Toten die Liebesdienste, zu welchen das Herz drängt, so schleppt man den Keim des Übels wieder weiter und bringt den anderen, den noch verschonten, die Gefahr. Man wollte sich opfern, weiß aber, daß man mit diesem Wagnis auch andere hinzuopfern wagt.
    Über solches Dilemma kann nur eines hinaushelfen: mit dem Leben abschließen – nicht nur mit dem eigenen, sondern auch mit demjenigen seiner Teuren – annehmen, daß alle zu Grunde gehen – und eins dem anderen, so lange es geht, in den Leidensstunden beistehen. Rücksicht, Vorsicht – das alles muß aufhören: Zusammen! – an Bord eines untergehenden Schiffes – Rettung gibt es keine – »halten wir uns umfangen, eng, recht eng aneinander – bis zum letzten Augenblick – und: schöne Welt, ade!«
    Diese Resignation war über uns alle gekommen; die Fluchtpläne hatte man aufgegeben; jeder ging an jedes Kranken und jedes Toten Lager; sogar Bresser versuchte nicht mehr, uns dieses Verhalten – das einzig menschliche – zu wehren. Seine Nähe, sein energisches, rastloses Schalten gab uns das einzige Sicherheitsgefühl – wenigstens war unser sinkendes

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