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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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schwebt ja das Damoklesschwert – und auch selber sterben, so furchtbar und so unnütz sterben – wem sollte der Gedanke nicht Grauen einflößen? Der Mut besteht höchstens darin , nicht daran zu denken.
    Fliehen? Diese Idee war mir auch gekommen – besonders meinen kleinen Rudolf in Sicherheit zu bringen ...
    Mein Vater, trotz allem Fatalismus, bestand auf der Flucht der anderen. Am kommenden Tage sollte die ganze Familie fort. Nur er wollte bleiben, um seine Hausleute und die Einwohnerschaft des Dorfes in der Gefahr nicht zu verlassen. Friedrich erklärte auf das bestimmteste, auch bleiben zu wollen, und da war mein Entschluß gleichfalls gefaßt: von des Gatten Seite würde ich freiwillig nimmer weichen.
    Tante Marie mit den beiden Mädchen und mit Otto und Rudolf sollten schleunigst abreisen. Wohin? – das war noch nicht bestimmt – vorläufig nach Ungarn, so weit wie möglich. Die Bräute widersetzten sich durchaus nicht, sondern halfen emsig packen ... Sterben – wenn in naher Zukunft die Erfüllung heißer Liebessehnsucht, das heißt verzehnfachte Lebenswonne winkt, das hieße ja zehnfach sterben.
    Die Koffer wurden in den Speisesaal gebracht, damit, unter der Beihilfe aller, die Arbeit schneller von statten gehe. Ich brachte einen Pack von Rudolfs Kleidern auf dem Arm herbei.
    »Warum tut das nicht deine Jungfer?« fragte der Vater.
    »Ich weiß nicht, wo die Netti steckt ... ich klingelte ihr schon mehreremal und sie kommt nicht ... So bediene ich mich lieber selber –«
    »Du verdirbst deine Leute,« sagte mein Vater aufgebracht und er gab einem anwesenden Diener Befehl, das Mädchen überall zu suchen und augenblicklich hierher zu führen.
    Nach einer Weile kam der Ausgesandte zurück – mit verstörter Miene.
    »Die Netti liegt in ihrem Zimmer ... sie ist ... sie hat ... sie ist ...«
    »Kannst du nicht sprechen?« donnerte ihn mein Vater an. »Was ist sie –?«
    »– Schon – ganz schwarz.«
    Ein Schrei kam aus unser aller Munde. Und so war es denn da – das grause Gespenst – in unserem Hause selber ...
    Was nun tun? Konnte man das unglückliche Mädchen hilflos sterben lassen? Aber, wer sich ihr nahte, holte sich fast sicher den Tod – und nicht nur sich – er gab ihn dann wieder den anderen weiter. – Ach, so ein Haus, in welches die Seuche eingezogen, das ist, als wäre es von Räubern umzingelt oder als stände es in Flammen – überall, an allen Ecken und Enden – auf jedem Schritt und Tritt grinst der Tod – –
    »Hole augenblicklich den Arzt,« befahl mein Vater zunächst. »Und ihr, Kinder, beschleunigt eure Abfahrt« ...
    »Der Herr Doktor ist seit einer Stunde nach der Stadt zurückgefahren,« antwortete der Diener auf meines Vaters Weisung.
    »Weh ... mir wird übel!« kam es jetzt von Lilli, welche bis in die Lippen erbleichte und sich an eine Sessellehne anklammerte.
    Wir sprangen ihr bei:
    »Was hast du? ... Sei nicht töricht ... das ist die Angst ...«
    Aber es war nicht die Angst, es war – kein Zweifel: wir mußten die Unglückliche auf ihr Zimmer bringen, wo sie sogleich von heftigen Erbrechungen und den übrigen Symptomen ergriffen wurde – es war an diesem Tage der zweite Cholerafall im Schlosse.
    Entsetzlich war es anzusehen, was die arme Schwester litt. Und kein Doktor da! Friedrich war der einzige, der, so gut es ging, das Amt eines solchen versah. Er ordnete das Nötige an: warme Umschläge, Senfteig auf den Magen und an die Beine – Eisstückchen – Champagner. Nichts half. Die für leichte Choleraanfälle ausreichenden Mittel, hier konnten sie nicht retten. Wenigstens gaben sie der Kranken und den Umstehenden den Trost, daß etwas geschah. Nachdem die Anfälle nachgelassen, kamen die Krämpfe an die Reihe – ein Zucken und Zerren der ganzen Gestalt, daß die Knochen krachten. Die Unselige wollte jammern: sie konnte nicht – denn die Stimme versagte ... die Haut wurde bläulich und kalt – der Atem stockte – – Mein Vater rannte händeringend auf und nieder. Einmal stellte ich mich ihm in den Weg:
    »Das ist der Krieg, Vater: sagte ich. »Willst du den Krieg nicht verfluchen?«
    Er schüttelte mich ab und gab keine Antwort.
    Nach zehn Stunden war Lilli tot. – Netti, das Stubenmädchen, war schon früher gestorben – allein auf ihrem Zimmer; wir alle waren um Lilli beschäftigt gewesen und von der Dienerschaft hatte sich niemand in die Nähe der »schon ganz Schwarzen« gewagt ...
    * * *
    Mittlerweile war Doktor Bresser angekommen. Die

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