Die Waffen nieder!
ihretwillen bin ich auf den Thron berufen ... und jede Stunde wäre ich bereit, für meines Volkes Wohl zu sterben ... O, hätte ich meinem Herzensdrang gefolgt und nimmer »ja« gesagt, wenn sie alle um mich herum riefen: »Krieg, Krieg!«... Doch – konnte ich mich widersetzen? Gott ist mein Zeuge, ich konnte nicht ... Was mich drängte, was mich zwang – ich weiß es selbst nicht mehr genau – nur so viel weiß ich – es war ein unwiderstehlicher Druck von außen – von euch selber, ihr toten Soldaten ... O wie traurig, traurig, traurig – was habt ihr nicht alles gelitten und jetzt liegt ihr hier und auf anderen Wahlstätten – von Kartätschen und Säbelhieben, von Cholera und Typhus hingerafft ... O hätte ich »nein« sagen können ... du hast mich darum gebeten, Elisabeth ... O hätte ich's gesagt! Der Gedanke ist unerträglich, daß ... ach, es ist eine elende, unvollkommene Welt ... zu viel, zu viel des Jammers! ...
Immer noch, während ich so für ihn dachte, haftete mein Auge an seinen Zügen, und jetzt – ja es war »zu viel, zu viel des Jammers« – jetzt bedeckte er sein Gesicht mit beiden Händen und brach in heftiges Weinen aus.
So geschehen am Allerseelentag 1866 auf dem Totenfelde von Sadowa.
Fünftes Buch.
Friedenszeit.
Die Stadt Berlin fanden wir in hellem Jubel. Jeder Ladenschwengel und jeder Eckensteher trug ein gewisses Siegesbewußtsein zur Schau. »Wir haben die anderen drunter gekriegt!« das scheint doch eine sehr erhebende und unter der ganzen Bevölkerung verteilbare Empfindung zu sein. Dennoch, in den Familien, die wir aufsuchten, fanden wir so manche tief niedergeschlagene Leute, solche nämlich, welche einen unvergeßlichen Toten auf den deutschen oder böhmischen Schlachtfeldern liegen hatten. Am meisten fürchtete ich mich, Tante Kornelie wiederzusehen. Ich wußte, daß ihr herrlicher Sohn Gottfried ihr Abgott, ihr alles gewesen, und ich konnte den Schmerz ermessen, der die arme beraubte Mutter jetzt erdrücken mußte – ich brauchte mir nur vorzustellen, daß mein Rudolf, wenn ich ihn großgezogen hätte ... nein, den Gedanken wollte ich gar nicht ausdenken.
Unser Besuch war angesagt. Mit Herzklopfen betrat ich Frau von Tessows Wohnung. Schon im Vorzimmer bekundete sich die im Hause herrschende Trauer. Der Diener, der uns einließ, trug schwarze Livree; im großen Empfangszimmer, dessen Sitzmöbel mit Überzügen bedeckt waren, war kein Feuer angezündet und die Spiegel und Bilder an den Wänden waren sämtlich mit Flor verhängt. Von hier wurde uns die Tür von Tante Korneliens Schlafzimmer geöffnet, wo sie uns erwartete. Dasselbe, ein sehr großer, durch einen Vorhang – hinter welchem das Bett stand – geteilter Raum, diente Tante Kornelie jetzt als beständiger Aufenthalt; sie verließ nie mehr das Haus, außer um allsonntäglich in den Dom zu gehen – und nur selten das Zimmer, nur täglich eine Stunde, welche sie in Gottfrieds gewesenem Studierkabinett verbrachte. In diesem Zimmer war alles auf derselben Stelle stehen und liegen geblieben, wie er es am Tage seiner Abreise verlassen. Sie führte uns im Laufe unseres Besuches hinein und ließ uns einen Brief lesen, den er auf seine Mappe gelegt:
»Meine einzige, liebe Mutter! Ich weiß ja, meine Herzliebste Du, daß Du nach meiner Abreise hierherkommen wirst – und da sollst Du dieses Blatt finden. Der persönliche Abschied ist vorbei. Desto mehr wird es Dich freuen und überraschen, noch ein Zeichen zu entdecken, noch ein letztes Wort von mir zu hören, und zwar ein frohes, hoffnungsvolles. Sei guten Muts: ich komme wieder. Zwei so aneinanderhängende Herzen, wie die unseren, wird das Schicksal nicht auseinanderreißen. Meine Bestimmung ist es, jetzt einen glücklichen Feldzug zu überstehen, Sterne und Kreuze zu erringen – und dann: Dich zur sechsfachen Großmutter machen. Ich küsse Deine Hand, ich küsse Deine liebe sanfte Stirn – o Du aller Mütterchen angebetetstes.
Dein Gottfried.«
Als wir bei Tante Kornelie eintraten, war dieselbe nicht allein. Ein Herr in langem, schwarzem Rocke, auf den ersten Blick als Pastor erkenntlich, saß ihr gegenüber.
Die Tante erhob sich und kam uns entgegen; der Pastor stand gleichfalls von seinem Sitze auf, blieb aber im Hintergrunde stehen.
Was ich erwartet hatte, geschah: Als ich die alte Frau umarmte, brachen wir beide, sie und ich, in lautes Schluchzen aus. Auch Friedrich blieb nicht trockenen Auges, indem er die Trauernde an sein Herz drückte. Gesprochen
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