Die Waffen nieder!
begonnen.
»Ach,« seufzte ich dagegen, »es ist ein hoffnungsloses Beginnen. Was willst du – einzelner – erreichen, gegen jenes mächtige, jahrtausendalte, von Millionen Menschen verteidigte Bollwerk?«
»Erreichen? Ich? ... Wahrlich, so unvernünftig bin ich nicht, zu hoffen, daß ich persönlich eine Umgestaltung herbeiführen werde. Ich sagte ja nur, daß ich in die Reihen der Friedensarmee eintreten wolle. Habe ich etwa, als ich im Kriegsheer stand, gehofft, daß ich das Vaterland retten, daß ich eine Provinz erobern würde? Nein, der einzelne kann nur dienen . Mehr noch; er muß dienen. Wer von einer Sache durchglüht ist, der kann nicht anders als für sie wirken, als für sie sein Leben einsetzen – wenn er auch weiß, wie wenig dieses Leben an und für sich zum Siege beitragen kann. Er dient, weil er muß: nicht nur der Staat – auch die eigene Überzeugung, wenn sie begeistert ist, legt eine Wehrpflicht auf.«
»Du hast recht. Und wenn endlich Millionen Begeisterter dieser Wehrpflicht genügen, dann muß jenes von seinen Verteidigern verlassene, jahrtausendalte Bollwerk auch zusammenfallen.«
Von Wien aus machte ich eine Pilgerfahrt nach Grumitz – dessen Herrin ich nun geworden. Doch ich betrat gar nicht das Schloß. Nur auf dem Friedhof legte ich vier Kränze nieder und fuhr wieder zurück.
Nachdem meine wichtigsten Geschäfte geordnet waren, schlug Friedrich eine kleine Reise nach Berlin vor, um der beklagenswerten Tante Kornelie einen Besuch zu machen. Ich willigte ein. Für die Dauer unserer Abwesenheit übergab ich meinen kleinen Sohn der Aufsicht Tante Mariens. Letztere war durch die Ereignisse der Grumitzer Cholerawoche unbeschreiblich niedergedrückt. Ihre ganze Liebe, ihr ganzes Lebensinteresse übertrug sie jetzt auf meinen kleinen Rudolf. Ich hoffte auch, daß es sie ein wenig zerstreuen und aufrichten werde, das Kind eine Zeitlang bei sich zu haben.
Am 1. November verließen wir Wien. In Prag unterbrachen wir unsere Reise, um zu übernachten. Tags darauf, statt die Reise nach Berlin fortzusetzen, machten wir eine neue Pilgerfahrt.
»Allerseelentag!« sagte ich, als mein Blick auf das Datum eines mit dem Frühstück in unser Hotelzimmer gebrachten Zeitungsblattes fiel.
»Allerseelen« – wiederholte Friedrich. »Wieviel arme Tote hier auf den nahen Schlachtfeldern, denen nicht einmal dieser Gräber-Ehrentag zugute kommt – weil sie keine Gräber haben ... Wer wird sie besuchen?«
Ich sah ihn eine Weile schweigend an. Dann halblaut:
»Willst du?«
Er nickte. Wir hatten uns verstanden, und eine Stunde später waren wir auf dem Weg nach Chlum und Königgrätz.
* * *
Welch ein Anblick!
Eine Elegie Tiedges kam mir in den Sinn
»Welch ein Anblick! Hierher, Volksregierer!
Hier bei dem verwitternden Gebein
Schwöre, deinem Volk ein sanfter Führer,
Deiner Welt ein Friedensgott zu sein.
Hier schau' her, wenn dich nach Ruhme dürstet,
Zähle diese Schädel, Völkerhirt,
Vor dem Ernste, der dein Haupt, entfürstet,
In die Stille niederlegen wird.
Laß im Traum das Leben dich umwimmern,
Das hier unterging in starres Grauen;
Ist es denn so lockend, sich mit Trümmern
In die Weltgeschichte einzubauen?«
Leider ja, es ist verlockend, so lang die Weltgeschichte – das heißt diejenigen, welche sie schreiben – die Heldenstandbilder aus Kriegstrümmern aufbauen, so lang sie den Titanen des Völkermordes Kränze reichen. Auf den Lorbeerkranz verzichten, dem Ruhme entsagen, wäre edel – meint der Dichter? Erst werde das Ding, auf das zu verzichten so wohltätig erschiene, seines Nimbus entkleidet und kein Ehrgeiziger wird mehr danach greifen.
Es dämmerte schon, als wir in Chlum ankamen und von da, Arm in Arm, in schweigendem Schauer, dem nahen Schlachtfelde zuschritten. Es fiel ein mit ganz kleinen Schneeflocken gemischter Nebel, und die kahlen Äste der Bäume bogen sich unter dem schrill klagenden Pfeifen eines kalten Novemberwindes. Massen von Gräbern und Massengräber rings umher. Aber ein Friedhof ? Nein. Da hatte man keine müden Lebenspilger zur Ruhe friedlich hingebettet, da wurden mitten in ihrem jugendlichen Lebensfeuer, in ihrer vollsten Manneskraft strotzende Zukunftsanwärter gewaltsam niedergeworfen und mit Grabeserde überschaufelt. Verschüttet, erstickt, auf ewig stumm gemacht – alle die brechenden Herzen, die blutig zerfetzten Glieder, die bitterlich weinenden Augen – die wilden Verzweiflungsschreie, die vergeblichen Gebete ...
Einsam war es auf
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