Die Waffen nieder!
wird ausgewiesen.«
»Und das hat der Kriegsminister verfügt? Welcher Zusammenhang?« –
»Ich finde auch keinen, aber die Leute sind über die Maßregel entzückt. Einmal sind sie immer froh, wenn etwas geschieht : von jeder neuen Verordnung erwarten sie eine Wendung, wie manche Kranke, die jedes angewandte Mittel als mögliches Heilmittel begrüßen. Wenn das Laster aus der Stadt getrieben ist – meinen die Frommen – wer weiß, ob dann der Himmel nicht wieder seine Huld über die Bewohner ergießt? Und jetzt, da man sich auf die ernste, entbehrungsvolle Zeit der Belagerung vorbereitet, was sollen da die tollen, verschwenderischen Hetären? So erscheint den meisten – die Betroffenen ausgenommen – die Maßregel als eine würdevolle moralische und nebstbei noch eine patriotische, da eine große Anzahl dieser Frauen Fremde sind. Engländerinnen, Südländerinnen, ja sogar Deutsche – vielleicht Spioninnen darunter! Nein, nein, jetzt hat die Stadt nur Platz für ihre eigenen Kinder und nur für ihre tugendhaften Kinder!«
Am 28. August kam es noch schlimmer. Wieder eine Ausweisung: binnen drei Tagen hatten alle Deutsche Paris zu verlassen.
Das Gift, das tödliche, langwirkende, welches in dieser Maßregel lag, davon hatten die Rezeptschreiber wohl keine Ahnung: damit war der Deutschenhaß geweckt. Wie lange dieses Unglück noch über den Krieg hinaus furchtbare Früchte tragen sollte – das weiß ich heute. Von da ab waren Frankreich und Deutschland – diese zwei großen, blühenden, herrlichen Länder nicht mehr zwei Nationen, deren Heere einen ritterlichen Zweikampf ausfochten: in das ganze Volk drang der Haß für das ganze gegnerische Volk. Die Feindschaft ward zu einer Institution erhoben, die sich nicht auf die Dauer des Krieges beschränkt, sondern als »Erbfeindschaft« ihren Bestand unter kommenden Geschlechtern sichert.
Ausgewiesen – binnen drei Tagen die Stadt verlassen müssen –: ich hatte Gelegenheit zu sehen, wie hart, wie unendlich hart dieser Befehl manche brave, harmlose Familie traf. Unter den Geschäftsleuten, welche uns zu der Ausstattung unseres Heims Waren lieferten, befanden sich mehrere Deutsche: ein Wagenfabrikant, ein Tapezierer und ein Kunsttischler. Seit zehn bis zwanzig Jahren in Paris niedergelassen, wo sie einen häuslichen Herd gegründet, wo sie sich durch Heirat mit Parisern verschwägert hatten, wo sie alle ihre geschäftlichen Verbindungen besaßen – und jetzt mußten sie fort, binnen drei Tagen fort, ihr Haus verschließen; alles verlassen, was ihnen lieb und gewohnt war; ihr Vermögen, ihre Kundschaft, ihren Erwerb einbüßen – – Bestürzt kamen die armen Wichte zu uns gerannt und teilten uns das Unglück mit, das sie betroffen; auch die Arbeit, die sie eben für uns zu liefern im Begriffe waren, mußte eingestellt, die Werkstätte geschlossen werden. Händeringend und mit Tränen in den Augen klagten sie uns ihr Leid: »Ich habe einen kranken alten Vater,« sagte der eine, »und meine Frau sieht täglich ihrer Niederkunft entgegen und in drei Tagen müssen wir fort!« – »Ich habe keinen Sou im Hause,« jammerte der andere, »alle meine Kunden, die mir Geld schulden, werden nicht so schnell ihre Verpflichtungen einhalten, und ich selbst kann nun meine Arbeiter, welche Franzosen sind, nicht auszahlen – noch acht Tage und ich hätte eine große Bestellung erledigt, die mich zum wohlhabenden Mann gemacht hätte – und jetzt muß ich alles im Stiche lassen ...«
Und warum, warum war alles das über die Armen hereingebrochen? Weil sie einer Nation angehörten, deren Heer erfolgreich seine Pflicht tat, oder weil, – um in die Ursachenkette weiter zurückzugreifen – weil ein Hohenzollern vielleicht in Zukunft einen angetragenen spanischen Thron anzunehmen sich einfallen lassen könnte ... Nein, auch dieses »weil« ist nicht bei der letzten Ursache angelangt, dasselbe deckt nur den Vorwand, nicht die Ursache zu jenem Kriege. –
Sedan! »Kaiser Napoleon hat seinen Degen übergeben.«
Die Nachricht überwältigte uns. Da war denn richtig eine große, geschichtliche Katastrophe eingetreten. Die französische Armee geschlagen – ihr Führer schwach und matt, so war die Partie denn aus – von Deutschland glänzend gewonnen. »Aus, aus!« jubelte ich; »gebe es schon Leute, die das Recht hätten, sich Weltbürger zu nennen, die könnten heute ihre Fenster beleuchten; gäbe es schon Tempel der Humanität, aus diesem Anlaß müßten Tedeums gesungen werden
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