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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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allein erhebt den Menschen so weit über das Tier –«
    »Entschuldigen Sie, Exzellenz,« sagte Doktor Bresser, »Sprache und technische Erfindungen waren dem Menschen nicht ursprünglich angeboren – ein Wilder wird auch heute noch keinen Telegraphenapparat konstruieren; das alles sind Früchte langsamer Vervollkommnung und Entwicklung –«
    »Ja, ja, lieber Doktor,« versetzte der General, »ich weiß: Entwicklung ist das Schlagwort der neuen Theorie – aber aus einem Känguruh entwickelt sich kein Kameel ... und warum sieht man heutzutage keinen Affen Mensch werden?«
    Jetzt wandte ich mich an Baron Tilling.
    »Und was sagen Sie? Haben Sie von Darwin gehört und zählen Sie sich zu seinen Anhängern oder – Gegnern?«
    »Gehört habe ich über diesen Gegenstand schon vieles, Gräfin; aber ich kann kein Urteil abgeben, denn das in Frage stehende Werk: The origin of species habe ich nicht gelesen.«
    »Ich muß gestehen,« sagte der Doktor, »ich auch nicht.«
    » Gelesen habe ich es allerdings auch nicht,« gestand der Minister.
    »Ich auch nicht« – »ich auch nicht« – »ich auch nicht« – kam es nun von den anderen.
    »Aber,« fuhr der Minister fort, »das Thema wird so vielfach besprochen, die Schlagwörter des Systems sind in aller Mund; »Kampf ums Dasein« – »natürliche Zuchtwahl,« – »Evolution« und so weiter, daß man sich doch einen klaren Begriff vom Ganzen machen kann und sich resolut auf die Seite der Anhänger oder der Gegner stellen, zu welch erster Kategorie allerdings nur umsturzliebende und effekthaschende Heißsporne gehören, während die kaltblütigen, nach positiven Beweisen verlangenden, streng kritischen Leute unmöglich einen anderen, als den von so bedeutenden Fachgelehrten geteilten Standpunkt der Gegnerschaft einnehmen können; ein Standpunkt, der allerdings –«
    »Nicht mit Sicherheit zu behaupten ist, wenn man denjenigen der Anhängerschaft nicht kennt,« ergänzte Tilling. »Um zu wissen, was die Gegenargumente wert sind, welche man, so oft eine neue Idee auftaucht, um sich herum im Chor vorbringen hört, muß man in diese neue Idee auch selber eingedrungen sein. Gewöhnlich sind es die schlechtesten und seichtesten Gründe, die mit solcher Einstimmigkeit von den Waffen wiederholt werden – und auf diese hin fällt mir nicht ein, ein Urteil zu stützen. Als die Lehre das Kopernikus auftauchte, konnten nur diejenigen, die sich bei Mühe unterzogen, die kopernikanischen Berechnungen nachzurechnen, einsehen, daß dieselben richtig waren; die anderen, die ihr Urteil nach den Bannflüchen richteten, welche von Rom aus gegen das neue System geschleudert wurden –«
    »In unserem Jahrhundert werden, wie ich schon früher bemerkte,« unterbrach der Minister, »wissenschaftliche Hypothesen, wenn sie irrig sind, nicht mehr vom Standpunkte der Orthodoxie, sondern von demjenigen der Wissenschaft abgefertigt.«
    »Nicht nur wenn sie irrig sind,« versetzte Tilling, »auch wenn sie sich später bewahrheiten sollen, werden neue Hypothesen anfänglich immer von einer Zopfpartei unter den Gelehrten bestritten. Diese läßt auch heute nicht gern an ihren althergebrachten Anschauungen und Dogmen rütteln; gerade so wie damals nicht nur die Kirchenväter, sondern ebenso die Astronomen gegen Kopernikus geeifert.«
    »Wollen's damit behaupten,« fiel der barsche General ein, »daß dem verrückten Engländer seine Affenidee so richtig ist, wie daß die Erd' um die Sonn' herumlauft?«
    »Ich will gar nichts behaupten, weil ich, wie gesagt, das Buch nicht kenne. Doch nehme ich mir vor, dasselbe zu lesen; vielleicht – aber auch nur vielleicht, denn meine einschlagenden Kenntnisse sind nur gering – werde ich wir dann ein Urteil bilden können. Bis dahin muß ich mich darauf beschränken, meine Meinung auf den Umstand zu stützen, daß bis Theorie auf verbreiteten und leidenschaftlichen Widerspruch stößt, ein Umstand, welcher nur allerdings eher für als gegen deren Richtigkeit zeugt.«
    »Du tapfrer, gerader, heller Geist«, apostrophierte ich in Gedanken, den Sprecher.
    * * *
    Gegen acht Uhr brachen sämtliche Gäste auf. Mein Vater wollte sie noch alle zurückhalten und auch ich murmelte verbindlich ein paar gastliche Phrasen, wie »Doch wenigstens noch eine Tasse Tee?« aber vergebens. Jeder brachte eine Entschuldigung vor: der eine wurde im Kasino, der andere in einer Soiree erwartet; eine der Damen hatte ihren Logentag in der Oper und wollte den vierten Akt der Hugenotten

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