Die Waffen nieder!
hören; die zweite erwartete noch Gäste bei sich; kurz, man mußte sie – und nicht so ungern als es den Anschein hatte – ziehen lassen.
Tilling und Doktor Bresser, die sich gleichzeitig mit den andern erhoben hatten, empfahlen sich zuletzt.
»Und was haben Sie beide noch wichtiges vor?« fragte mein Vater.
»Ich eigentlich nichts,« antwortete Tilling lächelnd; »da aber sämtliche Gäste sich entfernen, wäre es unbescheiden –«
»Dasselbe gilt von mir,« fiel der Doktor ein.
»Nun dann lasse ich keinen von beiden fort.«
Ein paar Minuten später hatten mein Vater und der Doktor am Spieltisch Platz genommen und vertieften sich in eine Partie Piket, während Baron Tilling sich an meine Seite zum Kamin setzte. – »Eine ›einschläfernde Geschichte‹ dieses Diner? – Nein, wahrlich, angenehmer und anregend hätte sich mir kein Abend gestalten können –« flog es mir durch den Sinn, und laut:
»Eigentlich sollte ich Ihnen Vorwürfe machen, Baron Tilling, warum haben Sie nach Ihrem ersten Besuch den Weg in mein Haus vergessen?
»Sie hatten mich nicht aufgefordert, wiederzukommen.«
»Ich teilte Ihnen doch mit, daß an Sonnabenden –«
»Ja, ja, zwischen zwei und vier ... Das dürfen Sie mir nicht zumuten, Gräfin. Aufrichtig: ich kenne nichts Schrecklicheres, als diese offiziellen Empfangstage. In einen mit fremden Leuten angefüllten Salon eintreten; – sich vor der Hausfrau verbeugen; – am äußersten Ende eines Halbkreises Platz nehmen; – Bemerkungen über das Wetter austauschen hören und, wenn man zufällig neben einen Bekannten zu sitzen kam, eine eigene Bemerkung hinzufügen; – von der Hausfrau über alle Hindernisse weg mit einer Frage ausgezeichnet zu werden, die man eifrigst beantwortet, hoffend, daß sich nun mit derjenigen, die man besuchen wollte, ein Gespräch entspinnen werde – vergebens: soeben tritt wieder ein anderer Gast ein, der begrüßt werden muß und der sich hierauf auf das nächste leere Plätzchen des Halbkreises niederläßt und – in der Meinung, das Thema sei noch nicht berührt worden – eine neue Bemerkung über das Wetter in Umlauf bringt; dann nach zehn Minuten – wenn abermals Besuchsverstärkung kommt, womöglich eine Mama mit vier heiratsfähigen Töchtern, für die nicht genug Sessel mehr frei wären – im Verein mit einigen anderen aufstehen, von der Hausfrau sich empfehlen und gehen ... nein, Gräfin, so etwas übersteigt meine ohnehin nur schwachen geselligen Fähigkeiten.«
»Sie scheinen überhaupt der Gesellschaft sich fern zu halten – man sieht Sie nirgends. Sie sind ein Menschenfeind? ... Doch nein, diese Frage nehme ich zurück. Aus manchem, was Sie sagten, habe ich herausgehört, daß Sie alle Menschen lieben.«
»Die Menschheit liebe ich, aber alle Menschen? – Nein. Es gibt zu viele nichtswürdige, bornierte, selbstsüchtige, kaltblütig grausame darunter – die kann ich nicht lieben, wenngleich ich sie bedaure, daß ihnen Erziehung und Umstände nicht gestattet haben, liebenswert zu sein.«
»Umstände und Erziehung? Der Charakter hängt doch hauptsächlich von den angeborenen Anlagen ab – meinen Sie nicht?«
»Was Sie angeborene Anlagen nennen, sind doch weiter nichts als auch Umstände, ererbte Umstände.«
»Dann sind Sie der Ansicht, daß ein schlechter Mensch an seiner Schlechtigkeit unschuldig und darum nicht zu verabscheuen sei?«
»Der Nachsatz ist durch den Vordersatz nicht bedingt: unschuldig wohl – aber dennoch zu verabscheuen. Sie sind an Ihrer Schönheit auch unschuldig und darum doch bewunderungswürdig.«
»Baron Tilling! Wir haben angefangen, als zwei vernünftige Leute ernste Dinge zu sprechen – verdiene ich da, plötzlich als komplimentensüchtige Salondame behandelt zu werden?«
»Verzeihen Sie mir, so war es nicht gemeint. Ich habe nur das mir zunächst liegende Argument gebraucht.«
Es entstand eine kleine Pause. Tillings Blick hing mit einem bewundernden, fast zärtlichen Ausdruck an meinen Augen, die ich nicht senkte ... Ich weiß, wohl, daß ich hätte wegschauen sollen – aber ich tat es nicht. Ich fühlte meine Wangen erglühen und wußte, daß, wenn er mich hübsch fand, ich in diesem Augenblick noch hübscher erscheinen mußte ... es war ein angenehmes, »bösgewissiges«, verworrenes Gefühl und dauerte eine halbe Minute. Länger durfte es nicht dauern; ich hob den Fächer vors Gesicht und veränderte meine Stellung. Dann in gleichgültigem Tone:
»Sie haben vorhin dem Minister
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