Die Waffen nieder!
zum Abmarsch treffen. Nachdem er damit fertig geworden:
»Doktor, Doktor,« rief er, den Arzt bei beiden Händen fassend, »nicht wahr – Sie versprechen mir – Sie bringen sie durch? Und Sie telegraphieren mir heute noch dort- und dahin? Er nannte die Stationen, welche er auf der Reise berühren sollte. »Und wenn eine Gefahr wäre ... Ach, was hilft's?« unterbrach er sich selber – »wenn auch die Gefahr die äußerste wäre, könnte ich denn zurück?«
»Es ist hart, Herr Baron,« bestätigte der Arzt. »Aber seien Sie unbesorgt – die Patientin ist jung und kräftig ... Heut' abend ist alles überstanden und Sie erhalten beruhigende Depeschen.«
»Ja, Sie werden mir auf jeden Fall günstig berichten, da ja das Gegenteil nichts nützen könnte ... Ich will aber die Wahrheit! Hören Sie, Doktor, ich verlange Ihren heiligsten Ehreneid darauf: die ganze Wahrheit! Nur unter dieser Voraussetzung kann eine beruhigende Nachricht mich wirklich beruhigen – sonst halte ich alles für Lüge. Also schwören Sie.«
Der Arzt leistete das verlangte Versprechen.
»O, mein armer, armer Mann« – schnitt es mir durch die Seele. – »Wie, wenn du heute noch die Nachricht erhältst, deine Martha liege im Sterben und darfst nicht umkehren, ihr die Augen zuzudrücken ... Du hast wichtigeres zu tun; es gilt des Augustenburgers Thronansprüche. – »Friedrich!« rief ich laut.
Er flog an meine Seite.
Im selben Augenblick schlug die Uhr. Wir hatten noch ein paar Minuten Zeit. Aber auch um diese letzte Frist wurden wir betrogen, denn wieder erfaßte mich ein Anfall, und statt der Abschiedsworte konnte ich nur Schmerzenslaute ausstoßen.
»Gehen Sie, Herr Baron, brechen Sie diesen Auftritt ab,« sagte der Arzt. »Solche Erregung ist für die Kranke gefährlich.«
Noch ein Kuß und er stürzte hinaus ... mein Wimmern und des Doktors letztes nachklingendes Wort »gefährlich« gaben ihm das Geleite.
In welcher Stimmung mag er wohl geschieden sein? Darüber gab das Olmützer Lokalblättchen am nächsten Tage Bescheid:
Gestern verließ das –te Regiment unter klingendem Spiel und flatternden Fahnen unsere Stadt, um sich in den meerumschlungenen Bruderlanden grüne Lorbeeren zu holen. Helle Begeisterung erfüllte die Reihen, man sah den Leuten die Kampfesfreude aus den Augen leuchten usw. usw. ...
* * *
Friedrich hatte vor seiner Abreise noch an Tante Marie telegraphiert, daß ich ihrer Pflege bedürfe, und sie kam einige Stunden später bei mir an. Sie fand mich bewußtlos und in großer Gefahr.
Mehrere Wochen schwebte ich zwischen Leben und Tod. Mein Kind war am Tage seiner Geburt gestorben. Der moralische Schmerz, den mir der Abschied von dem geliebten Manne verursacht hatte – gerade in dem Zeitpunkt, wo ich aller Kräfte bedurft hätte, um den physischen Schmerz zu bewältigen – durch den war ich widerstandsunfähig geworden, und es fehlte nicht viel so wäre ich unterlegen.
Meinem armen Manne mußte der Arzt, seinem eidlichen Versprechen gemäß, den traurigen Bericht schicken, daß das Kind gestorben und die Wöchnerin in Todesgefahr sei.
Was die Nachrichten betraf, die von ihm anlangten, so konnten mir dieselben nicht mitgeteilt werden. Ich kannte niemand und delirierte Tag und Nacht. Ein sonderbares Delirium. Ich habe davon eine schwache Erinnerung in das zurückgekehrte Bewußtsein mit hinübergenommen – aber dies mit vernünftigen Worten wiederzugeben, wäre mir unmöglich. In dem anormalen Wirbel des fiebernden Hirns bilden sich eben Begriffe und Vorstellungen, für welche die dem normalen Denken angepaßte Sprache keine Ausdrücke hat. Nur soviel kann ich andeuten – ich habe das phantastische Zeug in die roten Hefte einzuzeichnen versucht –: daß ich die beiden Ereignisse, den Krieg und meine Niederkunft, miteinander verwechselte; mir war, als wären Kanonen und blanke Waffen – ich fühlte deutlich die Bajonettstiche – das Werkzeug der Geburt und als läge ich da, das Streitobjekt zwischen zwei aufeinander losstürmenden Armeen ... Daß mein Gatte fortgezogen, wußte ich; doch sah ich ihn in Gestalt des toten Arno, während Friedrich an meiner Seite, als Krankenwärterin verkleidet, den silbernen Storch streichelte. Jeden Augenblick erwartete ich die platzende Granate, welche uns alle drei – Arno, Friedrich und mich zersplittern sollte, damit das Kind zur Welt kommen könne, welches bestimmt war, über Dänewig, Schlesstein und Holmark zu regieren ... Und das alles tat so unsäglich weh und
Weitere Kostenlose Bücher