Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
Vom Netzwerk:
Zeichen angelangt? O diese Sehnsucht nach einem Briefe – lieber noch Telegramme –: ich glaube kein von Fieberdurst Gequälter kann so nach Wasser lechzen, wie ich damals nach einer Nachricht lechzte. Ich war gerettet; ihm sollte die große Freude werden, mich lebend zu finden, wenn – – immer dieses »wenn« – dieses jede Zukunftshoffnung in der Knospe erstickende »wenn«!
    Mein Vater mußte wieder abreisen. Nunmehr konnte er mich beruhigt verlassen – die Gefahr war vorüber und er hatte schon dringend in Grumitz zu tun. Ich sollte, sobald ich hierzu die nötigen Kräfte zurückerlangt, ihm dorthin mit meinem kleinen Rudolf folgen. Der Aufenthalt in der frischen Landluft würde mich erst vollständig herstellen können, und auch dem Kleinen förderlich sein. Tante Marie blieb zurück; sie wollte mich weiter pflegen und dann mit mir zugleich nach Grumitz fahren, wohin uns Rosa und Lilli schon vorangegangen waren. Ich ließ sie reden und für mich Pläne machen. Im Stillen nahm ich mir vor – sobald ich nur halbwegs dazu fähig sein würde – nach Schleswig-Holstein abzureisen.
    Wo Friedrichs Regiment in diesem Augenblicke sich befand, wußten wir nicht. Es war unmöglich, ihm eine Depesche zukommen zu lassen, und am liebsten hätte ich jede Stunde telegraphiert, um zu fragen: »Lebst du?«
    »Du mußt dich nicht so aufregen,« predigte mein Vater, als er von mir Abschied nahm, »sonst bekommst du gar noch einen Rückfall. Zwei Tage ohne Nachricht: was ist das? Doch wahrlich kein Grund zur Besorgnis. Im Felde findet man nicht überall Briefkasten und Telegraphenstationen – abgesehen davon, daß man während des Marsches und des Schlagens gar nicht imstande ist, zu schreiben. Die Feldpost funktioniert nicht immer regelmäßig; da kann man leicht vierzehn Tage nachrichtslos bleiben, ohne daß dies Schlimmes bedeutet. Zu meiner Zeit habe ich oft noch länger nicht nach Hause geschrieben und man war darum nicht besorgt um mich.«
    »Wie weißt du das, Papa? Ich bin überzeugt, die Deinen haben für Dich ebenso gezittert, wie ich für Friedrich zittere. Nicht wahr, Tante?«
    »Wir waren gottvertrauender als du,« antwortete diese; »wir wußten, daß, wenn die gütige Vorsehung es so lenken wollte, daß – ob wir nun Nachrichten erhielten oder keine – dein Vater zu uns zurückkehren würde.«
    »Und wäre ich nicht zurückgekehrt, alle Kuckuck, so waret ihr auch vaterlandliebend genug, um einzusehen, daß eine so geringe Sache, wie eines einzelnen Soldaten Leben, in der großen Sache, für die er es gelassen hat gänzlich verschwindet. Du, meine Tochter, bist lange nicht patriotisch genug gesinnt. Aber ich will jetzt mit dir nicht zanken ... Die Hauptsache ist, daß du wieder gesund wirst und dich für deinen Rudi erhältst, um einen tüchtigen Mann und Vaterlandsverteidiger aus ihm heranzubilden.«
    * * *
    Ich genas nicht so schnell, als man anfangs gehofft. Die fortdauernde Nachrichtenlosigkeit versetzte mich in solche bange Aufregung, daß ich aus dem fieberhaften Zustand gar nicht herauskam. Die Nächte waren mit schauerlichen Phantasien gefüllt und die Tage vergingen in harrender Sehnsucht oder trübem Hinbrüten; dabei war es schwer, wieder zu Kräften zu gelangen.
    Einmal, nach einer Nacht, da ich besonders schauderhafte Gesichte gehabt – Friedrich – lebend unter einem Haufen von Menschen- und Pferdeleichen verschüttet – stellte sich sogar ein Rückfall ein, der mein Leben neuerdings in Gefahr brachte. Die arme Tante Marie hatte ein schweres Amt. Sie hielt es für ihre Pflicht, mit unablässig Trost und Ergebung zuzusprechen, und ihre Gründe – namentlich die immer wiederkehrende »Bestimmung« – hatten die Wirkung, mich aufs Höchste aufzubringen; und statt sie ruhig predigen hatten die Wirkung, mich aufs höchste aufzubringen; und statt sie ruhig predigen zu lassen, ließ ich mich zu leidenschaftlichem Widersprechen, zu auflehnenden Klagen gegen das Geschick, zu unumwundenen Versichern hinreißen, daß mir ihre »Bestimmung« als ein Unsinn erschiene. Das alles klang natürlich lästerlich und die gute Tante fühlte sich nicht allein persönlich verletzt, sondern zitterte auch für meine rebellische, jetzt vielleicht so bald vor den ewigen Richterstuhl gerufene Seele ...
    Nur ein Mittel gab es, mich für einige Momente zu beruhigen. Das war, wenn man mir den kleinen Rudolf ins Zimmer brachte. »Du mein geliebtes Kind – du mein Trost, meine Stütze, meine Zukunft!« ... so rief ich

Weitere Kostenlose Bücher