Die Waffen nieder!
gemäßigte Parkpromenaden gemacht, den Tafelfreuden gehuldigt und unabsehbar viel »kannegegossen«. Die eben stattgehabten kriegerischen Ereignisse und die durch letztere durchaus nicht zum Abschluß gebrachte schleswig-holsteinische Frage boten ein ergiebiges Feld hierzu. Friedrich und ich lebten von den anderen eigentlich so ziemlich abgeschieden – nur zu den Mahlzeiten trafen wir mit ihnen zusammen – und auch das nicht immer. Man ließ uns gewähren. Es galt als ausgemacht, daß wir in einer zweiten Auflage des Honigmondes uns befanden und uns Einsamkeit gebühre. Und wir waren auch am liebsten allein. Nicht etwa, um, wie die anderen vermutlich glaubten, in Honigmondesart zu schäkern und zu kosen – dazu waren wir doch nicht »neuvermählt« genug; aber weil wir im gegenseitigen Umgang die meiste Befriedigung fanden. Nach den kürzlich durchgemachten schweren Sorgen konnten wir die naive Munterkeit der Jugendpartei nicht teilen und noch weniger sympathisierten wir mit den Interessen und Unterhaltungen der Würdenspersonen, und so zogen wir es vor – unter dem uns stillschweigend zuerkannten Privilegium eines verliebten Paares – uns ein gutes Stück Abgeschiedenheit zu wahren. Wir unternahmen zusammen lange Spaziergänge, mitunter Ausflüge in die Umgebung, wobei wir den ganzen Tag abwesend blieben; viele Stunden verbrachten wir zu zweien im Bibliothekzimmer, und abends, wenn die verschiedenen Spielkarten in Angriff genommen wurden, zogen wir uns in unsere Gemächer zurück, wo wir bei Tee und Zigarre unsere vertraulichen Plaudereien wieder aufnahmen. Wir fanden immer unendlich viel uns zu sagen. Am liebsten erzählten wir einander von den Trauer- und Schreckgefühlen, die wir während unserer Trennungszeit empfunden, dies weckte die Freude unseres Wiederfindens immer aufs neue. Wir kamen überein, daß Todesahnungen und dergleichen nichts als Aberglaube seien, denn beide waren wir seit der Stunde unseres Abschiedes von der Voraussicht erfüllt gewesen, daß eins oder das andere sterben müsse – und jetzt hatten wir uns wieder! Friedrich mußte mir genau alle die Gefahren und Leiden erzählen, die er eben durchgemacht und die Greuelbilder des Schlachtfeldes und des Lazaretts beschreiben, welche er neuerdings in seine schaudernde Seele aufgenommen. Ich liebte den Ton des Unwissens und des Schmerzes, der bei solchen Berichten in seiner Stimme zitterte. Aus der Art, wie er von den Grausamkeiten sprach, deren Zeuge er im Kriegsgetümmel gewesen war, hörte ich die Verheißung der Edelmenschlichkeit heraus, welche berufen ist, erst bei einzelnen, später bei vielen, endlich bei – allen die Barbarei zu überwinden.
Auch mein Vater und Otto forderten Friedrich häufig auf, Episoden aus dem stattgehabten Feldzuge zum besten zu geben. Freilich geschah dies in ganz anderem Geiste, als wenn ich um eine solche Erzählung bat, und in anderem Geiste war denn auch Friedrichs Vortrag gehalten. Er begnügte sich damit, die Namen der genommenen und der verteidigten Ortschaften zu berichten, einzelne Lagerszenen zu beschreiben, Worte zu wiederholen, welche von den Heerführern gesprochen wurden, und was dergleichen Kriegsmiszellen mehr sind. Sein Auditorium war entzückt davon; mein Vater lauschte mit Genugtuung, Otto mit Bewunderung, die Generäle mit sachverständiger Wichtigkeit. Nur ich konnte an dieser trockenen Erzählungsweise keinen Geschmack finden; ich wußte, daß dieselbe eine ganze Welt von Gefühlen und Gedanken verschwieg, welche die berichteten Dinge in des Erzählers Seelengrund geweckt hatten. Als ich ihm einst unter vier Augen darüber einen Vorwurf machte, entgegnete er:
»Falschheit? Unaufrichtigkeit? Mangel an Meinungsmut? Nein, liebes Kind, du irrst – bloße Anständigkeit ist es. Erinnerst du dich unserer Hochzeitsreise – unserer Abfahrt von Wien, das erste Alleinsein im Waggon – die Nacht im Prager Hotel? Hast du die Einzelheiten jener Stunden jemals hier erzählt – und jemals deinen Freunden und Verwandten die Gefühle und Regungen dieser Rosenzeit geschildert?«
»Nein, gewiß nicht ... von solchen Dingen schweigt wohl jede Frau ...«
»Nun siehst du, es gibt auch Dinge, von welchen jeder Mann zu schweigen pflegt. Ihr dürft von euren Liebesfreuden nichts berichten; wir nichts von unseren Kriegsleiden. Ersteres könnte eure Haupttugend – die Keuschheit – bloßstellen; letzteres die unsere – den Mut. Die Wonnen der Flitterwochen und die Schrecken des Schlachtfeldes: davon
Weitere Kostenlose Bücher