Die Waffen nieder!
kann doch in gesitteter Gesellschaft kein »weibliches« Weib, kein »männlicher« Mann etwas erzählen. Wie Du hättest in der Verzückung der Liebe süße Tränen vergossen – wie? – ich hätte unter dem Hieb der Todessense aufgeschrien – wie könntest du dich zu solcher Sinnlichkeit, wie dürfte ich zu solcher Feigheit mich bekennen?«
»Und hast du geschrien – hast du gezittert, Friedrich? Mir kannst du es sagen. Ich verschweige dir auch die Geheimnisse meiner Liebesfreuden nicht, so magst du –«
»Dir das Todesbangen eingestehen, das uns Soldaten auf der Wahlstatt erfaßt? Wie wäre es denn anders möglich? Die Phrase und die Dichtung lügt darüber hinweg – die durch Phrase und Dichtung künstlich angefachte Begeisterung vermag sogar den Naturtrieb der Selbsterhaltung momentan zu überwinden – aber nur momentan ... Bei den Rohen kann auch mitunter Mord- und Zerstörungslust die Angst um das eigene Leben verscheuchen; bei den Ehrenfesten wird der Stolz vermögen, die äußere Kundgebung dieser Angst zu unterdrücken ... Aber wie viele habe ich stöhnen und wimmern gehört, von den armen jungen Burschen – welche verzweifelnde Blicke, welch todesfurchtverzerrte Gesichter hab' ich gesehen – welche wilde Klagen und Flüche und flehendes Bitten vernommen!«
»Und das hat dir weh getan, du mein Guter, Milder?«
»Oft zum Aufschreien weh, Martha. Und doch weniger, als es meiner Mitleidsfähigkeit eigentlich entspräche ... Man sollte glauben, wenn man beim Anblick eines vereinzelten Leidens von Mitgefühl ergriffen ist, daß vertausendfachtes Leid auch tausendmal stärkeres Mitgefühl wecken müßte. Aber das Gegenteil tritt ein: die Massenhaftigkeit stumpfte ab. Man kann den einen nicht so heftig bedauern, wenn man um ihn herum 999 ebenso Unglückliche sieht. Aber wenn man auch die Fähigkeit nicht hat, über einen gewissen Grad von Mitschmerz hinaus zu fühlen – zu denken und zu berechnen vermag man es doch, daß die unfaßbare Jammerquantität vorhanden ist –«
»Das vermagst du und ein paar anders –, doch die meisten denken und berechnen nicht.«
»Denken nicht,« wiederholte er. »Gott sei's geklagt, das ist an allen Übeln schuld: die meisten denken nicht.«
* * *
Es war mir gelungen, Friedrich zu dem Entschlusse zu bewegen, den Dienst zu verlassen. Der Umstand, daß er – nach seiner Verheiratung – noch über ein Jahr gedient und mit Auszeichnung einen Feldzug mitgemacht, schützte ihn vor dem meinem Vater in der Brautzeit aufgestiegenen Verdacht, daß die ganze Heirat nur den Zweck hatte, seine Laufbahn aufgeben zu können. Jetzt, wenn der Friede, dessen Präliminarien im Gange waren, geschlossen sein würde, und da voraussichtlich lange Jahre des Friedens bevorstanden – jetzt hatte ein Austritt aus dem Militärverband nichts Ehrverletzendes an sich. Zwar widerstrebte es noch einigermaßen Friedrichs Stolz, auf Stellung und Einkommen zu verzichten, um, wie er sagte, »nichts zu tun, nichts zu sein und nichts zu haben«; aber seine Liebe zu mir war doch ein mächtigeres Gefühl, als sein Stolz, und er konnte meinen Bitten nicht widerstehen. Ich erklärte, ein zweites Mal könne ich die Seelenangst nicht durchmachen, die mir die letzte Trennung verursacht – und er mochte wohl selber solchen Schmerz nicht wieder auf uns beide herabbeschwören. Das Zartgefühl, welches vor seiner Verheiratung mit mir ihn vor der Idee zurückschrecken ließ, von dem Vermögen der reichen Frau zu leben, das war jetzt nicht mehr im Spiele, denn wir waren so sehr eins geworden, daß zwischen »mein« und »dein« kein fühlbarer Unterschied mehr waltete, und verstanden einander so gut, daß er eine Mißbeurteilung seines Charakters von meiner Seite nicht mehr befürchten durfte. Der letzte Feldzug hatte zudem seine Abneigung gegen die Mordpflichten des Krieges noch so sehr vergrößert und das rückhaltlose Aussprechen dieser Abneigung hatte dieselbe so gefestigt, daß ihm das Quittieren nicht nur als eine unserem häuslichen Glücke gemachte Konzession, sondern zugleich als eine Betätigung seiner Gesinnung, als einen Überzeugungstribut erscheinen ließ, und so versprach er mir, im kommenden Herbste – bis dahin mußten die Friedensverhandlungen doch beendet sein – seinen Abschied zu nehmen.
Wir planten, mit meinem, gegenwärtig im Bankhause Schmitt & Söhne liegenden Vermögen ein Gut zu kaufen, an dessen Bewirtschaftung Friedrich Beschäftigung finden würde. Damit sollte der erste Teil
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