Die Waffen nieder!
Kampfeslust und von genügendem Preußenhaß beseelt, um gern hinauszuziehen: dennoch fiel ihm der Abschied schwer. Die Heiratsbewilligung war erst zwei Tage vor dem Marschbefehl eingetroffen. »O, Lilli, Lilli,« sprach er schmerzlich, als er seiner Braut Lebewohl sagte, »warum hast du so lang gezögert, mich zu nehmen? Wer weiß nun, ob ich wiederkomme?«
Meine arme Schwester war selbst von Reue erfüllt. Jetzt erst erwachte leidenschaftliche Liebe für den Langverschmähten. Als er fort war, sank sie weinend in meine Arme.
»O, warum habe ich nicht längst »ja« gesagt! Jetzt wäre ich sein Weib« ...
»Da wäre dir der Abschied nur desto schmerzlicher geworden, meine arme Lilli.«
Sie schüttelte den Kopf. Ich verstand wohl, was in ihrem Innern vorging – vielleicht klarer, als sie es selber verstand: sich trennen müssen bei noch ungestilltem – vielleicht ewig ungestillt bleiben sollendem Liebessehnen; – den Becher von den Lippen weggerissen und möglicherweise zerschellt sehen, ehe man noch einen einzigen Trunk getan – das , mag wohl doppelt quälend sein.
Mein Vater, die Schwestern und Tante Marie übersiedelten jetzt nach Grumitz. Ich ließ mich leicht bereden, samt meinem Söhnchen mitzukommen. So lange Friedrich fort war, schien mir der eigene Herd erstorben – ich hätte es da nicht ausgehalten. Es ist sonderbar: ich fühlte mich so verwitwet, als wäre die Nachricht von dem ausgebrochenen Kriege zugleich die Nachricht von Friedrichs Tod gewesen. Manchmal, mitten in meine dumpfe Trauer, fiel ein lichter Gedanke: »Er lebt und kann ja wiederkommen« – daneben aber stieg wieder die schreckliche Idee auf: er krümmt und windet sich in unerträglichen Schmerzen ... er verschmachtet in einem Graben – schwere Wagen fahren über seine zerschossenen Glieder weg – Mücken und Ameisen wimmeln auf seinen offenen Wunden; die Leute, welche das Schlachtfeld räumen, halten den erstarrt Daliegenden für tot und scharren ihn lebendig mit anderen Toten in die seichte Grube – hier kommt er zu sich und – – –
Mit einem lauten Schrei fuhr ich aus solchen Vorstellungen empor:
»Was hast du nun wieder, Martha?« schalt mein Vater. »Du wirst noch verrückt werden, wenn du so brütest und aufschreist. Beschwörst du dir wieder so dumme Bilder vor die Einbildung? Das ist sündhaft.« ...
Ich hatte nämlich öfters diese meine Ideen laut werden lassen, was meinen Vater höchlichst entrüstete.
»Sündhaft,« fuhr er fort, »und unanständig und unsinnig. Solche Fälle, wie sie deine überspannte Phantasie ausmalt, die kommen mitunter – unter tausend Fällen einmal – bei der Mannschaft – vor, aber einen Stabsoffizier, wie deinen Mann, lassen die anderen nicht liegen. Überhaupt, an solche Grauendinge soll man nicht denken. Es liegt eine Art Frevel, eine Entheiligung des Krieges darin, wenn man statt der Größe des Ganzen die elenden Einzelheiten ins Auge faßt ... an die denkt man nicht.«
»Ja, ja, nicht daran denken«, antwortete ich, »das ist von jeher Menschenbrauch allem Menschenelend gegenüber ... ›Nicht denken‹: darauf ist ohnehin alle Barbarei gestützt.«
Unser Hausarzt, Dr. Bresser, war diesmal nicht in Grumitz; er hatte sich freiwillig dem Sanitätskorps zur Verfügung gestellt und war nach dem Kriegsschauplatz abgegangen. Auch mir war der Gedanke gekommen, sollte ich nicht als Krankenpflegerin mitziehen? ... Ja, wenn ich gewußt hätte, daß ich in die Nähe Friedrichs käme, daß ich bei der Hand wäre, falls er verwundet würde, da hätte ich nicht gezögert; aber für andere? Nein, da gebrach es mir an Kraft, da fehlte der Opfermut. Sterben sehen, röcheln hören – hundert Hilfeflehenden helfen wollen und nicht helfen können – den Schmerz, den Ekel, den Jammer auf mich laden, ohne dabei Friedrich beizustehen – im Gegenteil, dadurch die Chancen, daß wir uns wiederfinden, vermindern, denn die Pflegenden begeben sich auch in vielfache Todesgefahr ... nein, ich tat es nicht. Zudem belehrte mich mein Vater, daß eine Privatperson, wie ich, zur Krankenpflege in den Feldhospitälern gar nicht zugelassen würde – daß dieses Amt nur von Sanitätssoldaten oder höchstens von barmherzigen Schwestern ausgeübt werden dürfe.
»Charpie zupfen«, sagte er, »und Verbandzeug für die patriotischen Hilfsvereine herrichten, das ist das einzige, was ihr für die Verwundeten leisten könnt, und das sollen denn meine Töchter auch fleißig tun – dazu geb' ich meinen
Weitere Kostenlose Bücher