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Die Waffen nieder!

Die Waffen nieder!

Titel: Die Waffen nieder! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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Segen.«
    Und diese Beschäftigung war es nun auch, welcher meine Schwestern und ich viele Stunden des Tages widmeten. Rosa und Lilli verrichteten ihre Arbeit mit sanft gerührten und dabei fast freudigen Mienen. Wenn die feinen Fädchen sich unter unseren Fingern zu weichen Massen häuften, wenn wir die Leinwandstreifen schön ordentlich übereinander gefaltet, so brachte dies den beiden Mädchen etwas von den Empfindungen des barmherzigen Pflegeamtes: es war ihnen, als linderten sie brennende Schmerzen und verhüteten sie das Verbluten der Wunden; als hörten sie die erleichterten Seufzer und sähen die dankbaren Blicke der Gewarteten. Es war beinahe ein freundliches Bild, welches ihnen da von dem Zustand des »Verwundetseins« vorschwebte. Die beneidenswerten Soldaten, welche, den Gefahren des tobenden Kampfes entronnen, jetzt auf weichen, reinen Betten hingestreckt, da gepflegt und gehätschelt werden, bis zu ihrer Heilung, größtenteils in halb bewußtlosen, köstlich-müden Halbschlummer gelullt, zeitweise wieder zu dem angenehmen Bewußtsein erwachend, daß ihr Leben gerettet, daß sie zu den Ihren heimkehren und noch in fernen Zeiten erzählen können, wie sie in der Schlacht von X ehrenvoll blessiert worden seien.
    In dieser naiven Auffassung bestärkte sie denn auch unser Vater:
    »Brav, brav, Mädels – heute seid ihr wieder fleißig ... da habt ihr wieder vielen unserer tapferen Verteidiger eine Freude gemacht! Wie das wohl tut, so ein Päckchen Charpie auf der blutenden Wunde – ich weiß was davon zu erzählen: ... Damals, als ich bei Palestro den Schuß ins Bein bekam« – usw. usw.
    Ich aber seufzte und sagte nichts. Ich hatte andere Geschichten von Verwundungen vernommen, als die, wie sie mein Vater zu erzählen beliebte; – Geschichten, welche sich zu den gebräuchlichen Veteranenanekdoten verhalten ungefähr wie die Wirklichkeit elenden Hirtenlebens zu den Schäferbildchen von Watteau.
    Das rote Kreuz ... ich wußte, durch welches auf das schmerzlichste erschütterte Völkermitleid diese Institution ins Leben gerufen ward. Seiner Zeit hatte ich den darüber in Genf geführten Verhandlungen gefolgt und die Schrift Dunants, welche den Anstoß zu dem Ganzen gegeben, hatte ich gelesen. Ein herzzerreißender Jammerruf, diese Schrift! Der edle Genfer Patrizier war auf das Schlachtfeld von Solferino geeilt, um zu helfen, was er konnte; und das, was er dort gefunden, hat er der Welt erzählt. Zahllose Verwundete, welche fünf, sechs Tage liegen geblieben – ohne Hilfe .... Alle hätte er retten mögen, doch was konnte er, der einzelne, was konnten die anderen, wenigen diesem Massenelend gegenüber tun? Er sah solche, welchen durch einen Tropfen Wasser, durch einen Bissen Brot das Leben hätte erhalten werden können; er sah solche die noch atmend, in fürchterlicher Eile begraben wurden .... Dann sprach er aus, was schon oft erkannt worden, was aber jetzt erst Nachhall fand: daß die Verpflegungs- und Rettungsmittel der Heeresverwaltung den Anforderungen einer Schlacht nicht mehr gewachsen seien. Und das »rote Kreuz« ward geschaffen.
    Österreich hatte sich der Genfer Konvention damals noch nicht angeschlossen. Warum? ... Warum wird allem Neuen, wenn es noch so segensreich und einfach ist, Widerstand entgegengesetzt? – Das Gesetz der Trägheit – die Gewalt des heiligen Schlendrians ... »Die Idee ist recht schön, aber unausführbar«, hieß es da – auch meinen Vater hörte ich öfters jene, während der Konferenz von 1863 von verschiedenen Delegierten vorgebrachten Zweifelargumente wiederholen – »unausführbar, und selbst, wenn ausführbar, so doch in mancher Hinsicht sehr unzukömmlich. Die Militärbehörden könnten Privatmitwirkung auf dem Schlachtfelde nicht angemessen finden. Im Kriege müssen die taktischen Zwecke der Menschenfreundlichkeit vorangehen – und wie könnte diese Privatmitwirkung mit genügenden Bürgschaften gegen das Spionenwesen umgeben werden? Und die Auslagen! Kostet der Krieg nicht ohnehin schon genug! Die freiwilligen Krankenwärter würden durch ihre eigenen stofflichen Bedürfnisse dem Proviantamt lästig fallen; oder, wenn sie sich in dem besetzten Lande auch selber verproviantieren, entsteht da nicht eine bedauerliche Konkurrenz für die Heeresverwaltung durch den Ankauf von für die Verwaltung notwendigen Gegenständen und die unmittelbare Erhöhung ihres Preises?«
    O diese Behördenweisheit! – So trocken, so gelehrt, so sachlich, ja klugheitstriefend

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