Die wahre Koenigin
in ihrem dünnen Kleid gelitten haben? Aber das Angebot, sein warmes Cape umzulegen, hatte sie stolz ausgeschlagen. Welch ein Hochmut.
Fast empfand Brice so etwas wie Achtung und Bewunderung für Lady MacAlpin. Aber er wischte das Gefühl schnell beiseite. Keine Dummheiten, sagte er sich.
Trotzdem, sie war eine ungewöhnliche Frau. Kein einziges Mal hatte sie geweint oder gejammert. Und keinmal war sie während der kurzen Aufenthalte vom Pferd gestiegen. Sie schien selbst die natürlichsten Bedürfnisse zu bezwingen.
Braut und Witwe zugleich, und kein Zeichen der Trauer. Wirklich bemerkenswert, diese Frau, dachte Brice.
Er starrte in die Flammen, die im offenen Kamin loderten. Was sollte er tun? Es war nicht seine Absicht gewesen, eine Frau zu entführen. Er gestand es sich nur ungern ein, aber er war ratlos und hatte ein unbehagliches Gefühl.
Doch was hätte er tun sollen? Der Narr, der den Pfeil abgeschossen hatte,.hatte ihn in Zugzwang gebracht. Er hatte die klar ausgesprochenen Regeln verletzt. Einer im MacKenzie-Clan besaß kein Ehrgefühl und kein Gewissen.
Am anderen Ende des Tisches saß Jamie. Wohlweislich schwieg er, denn er hatte gelernt, dass man Brice besser nicht ansprach, wenn er schlechter Stimmung war. Nicht dass er seine Launenhaftigkeit für einen Makel hielt, nein. Jeder Mann, der Verantwortung trug, hatte ein Recht auf Momente der Schwäche und des Zweifels. Denn so nannte Jamie bei sich Brice Campbells Neigung zum Jähzorn.
Und hätte irgendjemand ihm Blindheit gegenüber Campbells Fehlern vorgeworfen, er hätte die Kritik nicht auf sich sitzen lassen und sich auf Leben und Tod verteidigt. Jamie bewunderte Brice bedingungslos. Er war seinem Vorbild absolut ergeben.
Brice blickte mürrisch auf, als plötzlich die Tür aufgestoßen wurde. Angus Gordon stürmte herein und hinter ihm Holden Mackay, dessen Clan vor Kurzem mit den Campbells ein Kampfbündnis gegen die MacKenzies geschlossen hatte.
Brice brauchte seinem ältesten und vertrautesten Freund nur ins Gesicht zu sehen, um zu wissen, dass etwas faul war. Und dann verkündete Angus Gordon das Ungeheuerliche: „Du hast den falschen Mann getötet, Brice.“
„Was sagst du? Du hast Gareth MacKenzie selbst am Altar fallen sehen.“
„Irrtum, Brice. Es war nicht Gareth. Es war sein Bruder Desmond. Holden und ich blieben nach deinem Abmarsch zurück, um den Namen des Schützen zu erfahren.“
„Und? Wer war es?“
„Nur einer konnte so dumm sein, die Fehde fortzusetzen, nachdem du sie für beendet erklärt hattest. Gareth MacKenzie.“ Angus senkte die Stimme. „Holden hat versucht, ihn zu erwischen, aber es war zu gefährlich. Zu viele bewaffnete
MacKenzie-Leute. Und dann die vielen Frauen und Kinder in der Kirche ... “
Einen Moment lang starrte Brice die beiden Männer fassungslos an. Dann stieß er seinen Stuhl zurück und sprang auf. Gefolgt von Jamie, Angus, Holden und dem Hunderudel, rannte er die Treppe hinauf.
„Wo ist die Frau?“ Die Tür schlug so heftig gegen die Wand, dass der dumpfe Laut in den Gängen des Schlosses widerhallte. Brice blickte suchend im Raum umher. „Lady, versucht nicht, Euch zu verstecken! “, rief er drohend aus.
Er durchquerte hastig das Zimmer und stieß mit dem Fuß die Tür zum Schlafraum auf. Jamie, Angus und Holden blieben abwartend auf der Schwelle stehen, während die Hunde in den Raum tobten und aufgeregt um die schlafende Gestalt herumwieselten.
Dann sah Brice sie. Er sah sie neben dem Bett kauern, den Kopf in das Fell geschmiegt. Wie ein Schleier bedeckte das lange dunkle Haar ihr Gesicht. Als ein Hund sie neugierig mit der Nase anstupste, bewegte sie sich leicht.
Brice las die Verwirrung in ihrem Gesicht, als sie schlaftrunken die Augen öffnete. Augen, so grün und glänzend wie die Seen des Hochlands.
Er ging auf sie zu, und noch ehe er vor ihr stand, war sie aufgesprungen, bereit, ihrem Schicksal zu begegnen.
Die Hunde knurrten leise, als witterten sie Gefahr. Sie schienen nur auf den Befehl zum Angriff zu warten.
Auch Meredith war angriffsbereit. Ihr Herz raste zum Zerspringen, aber den kleinen Dolch hielt sie fest und ruhig in der Hand.
Ihr Gegner war ein Riese. Ein Riese, dessen Wildheit sie mit Grauen erfüllte. Die Hände in die Hüften gestemmt, stand er auf Armeslänge von ihr entfernt. Sein grimmiger Gesichtsausdruck flößte ihr Todesangst ein. Aber Furcht und Fluchtgedanken waren einer MacAlpin nicht würdig.
Meredith reckte das Kinn und begegnete
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