Die wahre Koenigin
Zentimeter gewachsen.“
Der Junge lachte. Dann sah er schüchtern zu der weiß gekleideten Gestalt auf dem Pferd. Brice folgte seinem Blick und streckte den Arm aus. Unsanft hob er Meredith vom Sattel und übergab sie einer fassungslosen Magd, die die Beute ihres Herrn wortlos anstarrte.
„Bring sie zu meinen Räumen. Ich kümmere mich später um sie“, befahl Brice.
Sein schroffer Ton jagte Meredith einen Schauer über den Rücken. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, als sie ins Haus und eine breite Steintreppe hinaufgescheucht wurde. Vage nahm sie an den hohen Wänden gewebte Gobelins und eine Unzahl von Bannern und Wappen wahr, bevor sie im oberen Geschoss in ein Zimmer geführt wurde.
„Dort ist frisches Wasser, Mylady“, sagte die junge Dienerin schüchtern. „Ich werde Euch warme Kleider bringen, wenn mein Herr es erlaubt.“ Sie huschte aus dem Raum und schloss hinter sich die Tür.
Meredith sah sich in dem Zimmer um. Offenbar befand sie sich im Privatgemach eines Mannes. Welchen Mannes, das verrieten die schweren massiven Möbel aus dunklem Holz. Sie passten zu Brice Campbell.
Wenigstens war es warm in diesem düsteren Raum. Meredith ging zum Kamin und wärmte sich vor dem leise prasselnden Feuer. Jetzt erst merkte sie, dass sie bis auf die Knochen durchgefroren war. Ein hauchdünnes Brautgewand war nicht die richtige Bekleidung für einen nächtlichen Ritt durchs Hochland.
Auch wenn Brice Campbell sie ein wenig gewärmt hatte ...
Wieder kreisten Merediths Gedanken um ihren Entführer. Was plante er? Was hatte er mit ihr vor?
Den Rücken zum Kamin gedreht, ließ Meredith den Blick durch den Raum schweifen. Er war nicht düster, sondern behaglich. An den Wänden hingen Tierfelle und kunstvolle Gobelins. Der kalte Steinfußboden wie auch die Stühle und Sitzbänke waren mit weichen Schaffellen bedeckt.
Merediths Gefühle schwankten zwischen Wohlbefinden und kalter Angst. Sie brauchte eine Waffe. Denn früher oder später würde Campbell herausfinden, dass er den falschen Mann getötet hatte und seine Gefangene folglich nutzlos für ihn war. Er wäre gezwungen, sie zu beseitigen. Und für diesen Moment musste sie sich wappnen. Ja, sie würde kämpfen. Bis zum Tod.
Meredith durchforschte den Raum vergeblich nach einem Gegenstand, der ihr als Waffe hätte dienen können. Zögernd ging sie in den angrenzenden Schlafraum, und hier fand sie, was sie suchte. Über der riesigen Bettstelle, die auf roh gezimmerten Holzblöcken errichtet war, befand sich ein schweres Eichenbord mit einer reichen Auswahl an Waffen.
Meredith warf einen sichernden Blick zur Tür und griff schnell nach einem kleinen Dolch, den man gut unter einem Rockbund verstecken konnte. Sie strich prüfend über die Klinge und lächelte in sich hinein. Der Dolch war messerscharf geschliffen.
Aber unter dem dünnen Brautkleid hätte man die Waffe sofort entdeckt. Sie würde den Dolch hier in diesem Raum verstecken müssen, bis sie andere Kleider erhielt.
Als sie sich neben das Bett kniete und zwischen den Leintüchern nach einem passenden Versteck tastete, streifte sie mit der Wange die Felldecke, die über das Bett gebreitet war. Die weiche Berührung löste ein grenzenloses Heimweh in ihr aus. Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung erfassten sie.
Wie erschöpft sie war, wie unendlich müde! Seit dem Tod ihres Vaters hatte sie sich keine Minute ausgeruht. Zuerst das Begräbnis, dann das Drängen ihrer Leute und der MacKenzie-Brüder, der Zwang zur Entscheidung, die überstürzte Hochzeit, Desmonds Tod.
Eine Flut verwirrender Bilder zog an Meredith vorüber. Sie legte den Kopf auf das Fell und schloss die Augen. Eine Minute nur, einen kurzen Moment wollte sie ausruhen, bevor die nächsten Ereignisse auf sie einstürmten. Eine kleine Rast wollte sie sich gönnen, und dann würden ihre Kräfte zurückkehren.
Sie schmiegte sich in das schmeichelnde Fell. Die Faust um den Dolch geschlossen, schlief sie ein.
Brice spülte den letzten Bissen des Hammelbratens mit einem kräftigen Schluck Ale hinunter. Gesättigt lehnte er sich zurück und streckte die Beine von sich. Die Hunde, die zu seinen Füßen geschlafen hatten, schreckten kurz hoch, schnappten sich die neben ihnen liegenden Fleischhappen und dösten weiter.
Brice war übler Laune. Jetzt, nachdem er seinen Hunger gestillt hatte, würde er sich um die Frau kümmern müssen. Sie musste in einem erbärmlichen Zustand sein. Wenn er schon unterwegs gefroren hatte, wie musste sie dann erst
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