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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Gerede über sinkende Schiffe bedeuten könnte, und machte Anstalten, sich die Treppe hinaufzubegeben, aber seine Hand schloß sich über ihre auf dem Geländer. »Sie würden sie nicht hinauflassen«, sagte er. »Der Arzt ist noch bei ihr. Und Ihr Mann.« Er schob seine Hand auf ihren Arm und führte sie in den Salon.
    Caroline ist tot, dachte sie dumpf und blickte mit leeren Augen in den Salon.
    »Der Körper ist wie ein Schiff. Er stirbt nicht auf einmal. Der Tod hat ihn im Griff, der verhängnisvolle Eisberg hat es aufgerissen, aber es dauert Stunden, bis das Schiff sinkt. Und die ganze Zeit über gehen Passagiere auf den Decks umher, senden ihr S.O.S. an Rettungsschiffe, die nicht kommen. Haben Sie jemals einen Geist gesehen?«
    »Es gab Überlebende bei der Titanic«, sagte Amy und ihr Herz klopfte so heftig, daß es schmerzte. »Es kam Hilfe.«
    »Ah, ja. Die Carpathia kam um vier Uhr morgens mutig angedampft. Kapitän Rostron irrte nahezu eine Stunde zwischen den Eisbergen umher und befürchtete, er sei am falschen Ort. Er war zu spät. Sie war schon gesunken.«
    »Nein«, beharrte Amy, und sie wußte vom panischen Klang ihres Herzens, daß es in diesem Gespräch überhaupt nicht um sinkende Schiffe ging. »Sie kamen nicht zu spät für die Rettungsboote.«
    »Ein paar Passagiere der ersten Klasse«, erwiderte Ismay, als käme es auf die Überlebenden nicht an. »Wissen Sie, daß alle Kinder auf dem Zwischendeck ertrunken sind?«
    Amy hörte ihn nicht. Sie hatte sich von ihm abgewandt und blickte in den Salon. »Was?« fragte sie verständnislos.
    »Ich sagte, die Californian befand sich nur fünfzehn Kilometer entfernt. Dort dachte man, ihre Leuchtkugeln seien ein Feuerwerk.«
    »Was?« fragte sie wieder und versuchte an ihm vorbeizukommen, aber er stand hinter ihr, zwischen ihr und der Tür, und der Weg war ihr versperrt. »An welch einem Ort sind wir hier?« fragte sie und konnte über dem Klang ihres Herzens ihre eigene Stimme nicht verstehen.
     
    Amy stand in der Tür und blickte zurück zum Salon. Ich muß dorthin zurück, dachte sie klar. Im Salon ist etwas Entsetzliches geschehen.
    »Mama!« rief Caroline, und Amy dreht sich um und blickte durch die geöffnete Tür hinein.
    Die Frauen standen reglos um das kleine Mädchen, streckten unbeholfen die Hände aus, um sie zu beruhigen. Debra kniete ihr zu Füßen. Sie sollten ihr einen Rettungsgürtel anlegen, dachte Amy. Sie müssen sie aufs Bootdeck hinaufbringen. Caroline streckte freudig ihre Hände nach Amy aus.
    »Wir gehen jetzt nach Hause, Caroline«, sagte Amy. Aber bevor sie ausgesprochen hatte, sagte eine der Frauen etwas, indem sie Amy nicht unterbrach, sondern ihre Worte über Amys legte, so daß Amy ihre eigene Stimme nicht hören konnte. »Deine Mutter ist fort, Liebling. Sie kann dir nicht mehr weh tun.«
    »Sie ist nicht fort«, erwiderte Caroline. Die drei Frauen sahen zu dem kleinen Mädchen auf, dann warfen sie sich gegenseitig besorgte Blicke zu.
    »Du vermißt sie natürlich, aber sie ist jetzt glücklich. Du mußt all die schlimmen Dinge vergessen und daran denken«, sagte Debra und tätschelte Carolines Hand. Caroline zog unwillig ihre Hand weg.
    »Meint ihr, wir sollten ihr ein Beruhigungsmittel geben?« fragte die Frau, die zuerst gesprochen hatte. »Ismael sagte, sie könnte die erste Zeit schwierig sein.«
    »Caroline«, befahl Amy laut. »Komm her!«
    »Nein«, erwiderte Debra, und zuerst glaubte Debra, sie antworte ihr, aber sie machte keine Anstalten, Caroline zurückzuhalten, und ihre Stimme klang wie während der Seance, als sie einen Geist gespielt hatte. »Vielleicht sieht sie ihre Mutter.«
    Ein Schaudern, wie das plötzliche Absacken eines Schiffs, durchfuhr die Frauen.
    »Caroline?« fragte Debra vorsichtig. »Wo ist deine Mutter?«
    »Da vorn«, antwortete Caroline und deutete auf Amy.
    Die Frauen wandten sich um und blickten zur Tür. Vielleicht sieht sie etwas, überlegte Debra. Ich glaube, wir sollten das Ismay erzählen, und sie ging an Amy vorbei durch die Tür und durch den Flur in den Salon.
    Oh, im Salon ist etwas Entsetzliches geschehen, dachte Amy, und Ismay hat’s getan.
     
    Der Salon war das Zimmer, das sie vom Park aus gesehen hatte. Während sie Caroline ihr Glas Milch gab, hatte sie die schweren grauen Vorhänge vor dem Fenster betrachtet und sich gefragt, wie das protzige viktorianische Haus wohl von innen aussehen mochte. Sie hatte es sich wie dieses Zimmer vorgestellt, kostbare Hölzer und

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