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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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müssen: C. Aubrey Smith, der in Rawalpindi oder Kanpur einen Gin Soundso trinkt und sehnsuchtsvoll zum Khyber-Paß blickt in der Hoffnung, daß Britannia von den Toten auferstehen und ihr verlorenes Reich zurückfordern möge; qualmende Stahlungeheuer von Schlachtschiffen; edelmütige Verwalter; Wachmannschaften zur Verteidigung der britischen Kolonialherrschaft und ihrer Zuckerbäcker-Türme. In einer Zeit, in der es eine Margaret Thatcher gab und Leichtmetall-Fregatten im Südatlantik bis zur Wasserlinie in Flammen standen, war Bullivant wirklich ein äußerst absonderlicher Vogel. Aber während der längsten Zeit unserer Bekanntschaft hatte ich keine Ahnung, wie absonderlich er tatsächlich war.
    Zum erstenmal entdeckte ich den alten Knaben in einem der Lesesäle des Britischen Museums, und ich war auf der Stelle fasziniert. Es war nämlich ein brütendheißer Tag im Juli, so schlimm wie seit acht Jahren nicht mehr. The Times führte das auf die Zerstörung der Ozonschicht zurück, und der BBC hatte vorausgesagt, daß die Hitze bis September anhalten würde. Und hier saß ein Mann, der in so viel Tweed eingepackt war, daß die Klinge eines Breitschwerts nicht hindurchgedrungen wäre. Ich bin Amerikaner und bis zu einem gewissen Grad taktlos, und ich befürchte, daß ich ihn ziemlich unverhohlen anstarrte, als er aufblickte.
    »Nun, hmp, hmp, hust«, sagte er – genau wie Major Hoople: hust. Er blinzelte, klemmte sich ein Monokel ins rechte Auge und zog die Oberlippe bis übers Zahnfleisch hoch.
    »Ahem«, fuhr er fort, und sein Sprechmechanismus kam langsam in Gang. »Kann ich, ehm, ehm, Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    »O nein. Verzeihung. Ich wollte Sie nicht so anstarren.«
    »Warum haben Sie es dann getan?« knarzte er mich an.
    »Ich habe mich gefragt, wie … also, wie jemand es bei diesem Wetter in so dickem Tweed aushalten kann.«
    »O ja«, sagte er, während er sein Monokel aus dem Auge nahm und es mit einem blütenreinen Taschentuch polierte. »Es ist in der Tat ziemlich warm, nicht wahr?«
    Ich trug eine leichte Sommerhose und ein kurzärmeliges Hemd, und trotzdem lief der Schweiß in Bächen an mir hinunter. »Es ist kochend, sogar hier drin. Wie können Sie das aushalten? An einem so rasend heißen Tag …«
    Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, das aber sofort wieder einem würdevollen Ausdruck wich.
    »Sie sind Amerikaner?«
    »Ja, sieht man das?«
    »Ehm, nein, urrump. Ihre Ausdrucksweise. Rasend heiß. Das ist eine typische Redewendung. Guten Tag.«
    Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Buch zu, und damit war die Unterhaltung unwiderruflich beendet, Schluß, aus, als ob sie nie stattgefunden hätte. Meine Frage nach dem Tweed blieb unbeantwortet. Erstaunlich! Ich hatte sogar Vorstellungsgespräche bei der Stellensuche erlebt, die erheblich flüssiger liefen als diese Unterhaltung … Er war wieder vollkommen in seine Lektüre vertieft. Mit einem Achselzucken beschäftigte ich mich wieder mit meinen Studien über die republikanischen Tendenzen im alten Rom … Wenn ich zu Hause von der Begegnung mit ihm erzählte, würde das immerhin eine ganz nette Geschichte abgeben.

    In den folgenden Tagen sah ich Bullivant mehrmals (obwohl ich damals seinen Namen nicht kannte), und er steckte jedesmal in seiner Tweed-Rüstung, ungeachtet der Hitze, die Londons Straßen in einen Backofen verwandelte und sogar die Klimaanlage des Museums wirkungslos machte. Bei einigen Gelegenheiten nickte ich ihm zu und erhielt als Antwort ein Blinzeln aus seinem Bibergesicht, doch weiter kümmerte ich mich nicht um ihn. Erst als ich Bullivant ein paar Tage später in einem Pub in der Nähe des Museums traf, sprach ich wieder mit ihm.
    Er hatte sich in einer Ecknische niedergelassen, vergraben hinter Stapeln von Büchern, ein Gin Fizz sprudelte unberührt neben seinem Ellbogen vor sich hin. Der Raum war unter einer Reihe vergeblich sich drehender Ventilatoren an der Decke der Hitze ausgeliefert, aber Bullivant war immer noch in voller Montur. Er machte nicht einmal den Eindruck, als ob ihm warm wäre.
    Ich hatte einen erfolglosen Tag hinter mir, da ich eine falsche Spur verfolgt hatte, und nachdem mir ein Glas von Arthur Guinness’ verhängnisvollem Gebräu Mut gemacht hatte, rutschte ich auf die Bank ihm gegenüber.
    »Was machen Ihre Studien? Kommen Sie voran?«
    »Ah, der junge Amerikaner! Ihnen macht die Hitze wohl ganz schön zu schaffen, wie?«
    Es war offensichtlich, daß es so war, da mir das Hemd

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