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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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vorbereitenden Anstrengung in einem einzigen unklaren Moment komprimierte, und dieser Moment dauerte fort, dehnte sich, bis in der Stille das Getriebe der Geschichte zu hören war und das Wehklagen der Toten das Schweigen erfüllte. Es war der Moment, in dem man die nahende Änderung wahrnimmt und weiß, daß man keine Kontrolle hat und sich allem Geschehen fügen muß. Plötzlich war ich in Wien.
    »No! Wer bist denn du?«
    Ich drehte mich um und sah einen fetten Wirt an seinem Hosenknopf fingern. Eine Urinpfütze dampfte in der Gasse. Er sah mich von oben bis unten an und wurde blaß.
    »Entschuldigend, gnädiger Herr.« Meine Kleidung bescherte mir diese Höflichkeit.
    »Ist schon gut. Sag mir … kennen Sie ein Herr Mozart?«
    Er schürzte mißtrauisch die Lippen. Vielleicht hatte ich einen grammatikalischen Fehler gemacht.
    »Mozart? Der Musikant?«
    Ich lächelte über den herabsetzenden Ausdruck. »Komponist.«
    »Ja freilich, der tut hier ab und zu aan Kaffee trinken.« Und er wies dabei mit dem Daumen zur Kneipentür.
    »Tausend Dank.« Ich gab ihm eine Münze.
    »Is scho recht.« Stolz wandte er sich ab und schlurfte in seine Kneipe zurück.
    Ich ging zur Vordertür und hielt einen Moment lang inne. Der Transfer hatte Spuren von Rauch, Ausscheidungen, Ausfluß, Waschmittel und Konservierungsstoffen von meinem Körper entfernt und ihn wie geschält zurückgelassen. Ich fühlte mich sorglos und überlegte, ob auch eine Facette meines Bewußtseins von irgendeiner Chemikalie meiner Zeit reingewaschen worden war. Ich spürte genau die mich umströmende Luft scharf durch meine Kehle rinnen und hörte jedes Geräusch. Seit Jahren waren meine Sinne nicht so wach gewesen. Ich lehnte an einem Eisengeländer und spürte seine Wärme an meinen Händen. Kutschen klapperten, es roch nach Pferden, Staub wirbelte auf. Schwalben schossen am leicht bewölkten Mittagshimmel hin und her. Ein Lied stieg in mir auf. In Los Angeles unterrichtete ich in einem düsteren Klassenraum; die bleierne Luft, das tote graue Licht, das durch alte Glasscheiben hereinfiel, der ununterbrochene Lärm von Bauen und Abriß draußen, das alles waren Hemmnisse für den zerbrechlichen Geist der Musik, die ich lehrte. Wir werden dieser leichten, klaren Musik vielleicht gar nicht mehr gerecht. Sie erregte weder Ekel noch Begehren, die einzigen Energiequellen für uns. Dafür schlug sie, einfach wie ein Vogelherz, einen lebendigen Rhythmus, der anders war als der von Maschinen oder von den Giften in unserem Blut. Aber jetzt umflutete mich die Empfindung dieser Musik, und ich war dankbar.
     
    Drinnen saß er allein an einem Tisch in der Ecke. Ich verliebte mich sofort in ihn. Seine Züge waren den meinen nicht unähnlich, aber weicher, weniger scharf geschnitten, als wollte die Zeit ihn in keiner Weise kennzeichnen, sondern ihn nur in völliger Gleichgültigkeit benutzen. Er war älter als ich, aber ich fühlte mich väterlich. Er hatte immer noch den traurigen, süßen, verletzlichen Blick, den er mit sechs gehabt haben mußte.
    »Herr Mozart?«
    »Nein.«
    »Johannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus Mozart.«
    »Nein! Heiße Amadeus.«
    »Amadeus«, sagte ich erfreut. »Was für ein Zufall, das ist auch mein Name.« Ich setzte mich ihm gegenüber und sprach weiter in sorgfältigem Deutsch.
    »Ein schöner Name. Meine Mutter gab ihn mir. Ich glaube, er bedeutet Gottlieb. Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen?«
    »Ja. Aber ich … ich würde lieber Wein trinken.«
    Ich bestellte zwei Glas Wein und musterte ihn würdevoll.
    »Geehrter Herr Mozart. Ich möchte eine Messe bestellen, eine Totenmesse.«
    »Für wen?«
    »Mein Auftraggeber möchte anonym bleiben, aber er zahlt Ihnen, was Sie verlangen.«
    Es klang, als würde ich einen Text ablesen, was ich ja auch tat. Aber ich mußte der Behörde dafür einstehen, daß er den Preis von 50 Dukaten nennen würde.
    »Ich weiß nicht. Ich schreibe gerade an einer Oper, meine Frau ist schwanger, sie mußte nach Baden reisen, also … hm … ich habe viele Ausgaben!«
    Schulden, meinte er. Er hatte fürchterliche Schulden. Seine hilflose Bemäntelung rührte mich.
     
    »Fünfzehn Dukaten jetzt? Und 50 bei Lieferung?«
    »Ja, abgemacht. Ich langte in meinen Gürtel und zählte in einer plötzlichen Regung hundert ab.«
    »Und bei Lieferung dasselbe noch mal.« Er bedeckte die Münzen mit einer Hand und schob sie zur Tischdecke. Ich schämte mich. Er brauchte fünfzigmal so viel.
     
    Ich würde ihn für den

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