Die wahre Lehre - nach Mickymaus
die Zeit zerstört ist?«
»Wenn die Zeit zerstört ist – wird vielleicht das Chaos heraufbeschworen.«
»Mieser Betrüger!«
»Unschuldslamm.«
Dann kämpfte ich mich frei. Donner und klatschender Regen hallten in der leeren Kathedrale der Straßen wider. Ich rappelte mich hoch und schloß das Fenster, in einer Pfütze von kaltem Wasser stehend. Ich merkte, daß ich nur von einem Traum in einen anderen entkommen war, aus dem ich erst zur vereinbarten Stunde erwachen konnte.
So ging alles seinen Gang. Ich vermied es, Mozart zu sehen. Am letzten Tag ging ich wieder in die Ungarische Krone und gab ihm die von mir ausgearbeiteten Seiten. Ich war barsch, herrisch und falsch. Ich gratulierte ihm zur Geburt von Franz Xaver, sagte, ich würde mich auf die Oper freuen und auf das Requiem, das seine glänzende Laufbahn sicherlich krönen würde. Er trank, während ich redete und schwieg, bis ich mich zuletzt selber schämte. Er bestellte Wein nach, ohne mich zu fragen.
»Entschuldigen Sie«, sagte er. »Ich will keine Sau sein, aber Wein ist bei mir nicht oft drin.«
»Ist schon gut«, sagte ich ernüchtert, »das macht gar nichts. Ich habe das Gefühl, Ihnen etwas zu schulden.«
»Sie haben schon so viel für mich getan.«
»Nicht der Rede wert. Ich weiß, wie schwer Sie es haben …«
»Komponieren Sie viel?« Er versuchte freundlich zu sein, aber seine Frage traf mich wie ein Stachel. Ich versuchte, das Gefühl abzuschütteln.
»Sie haben einen Witz gemacht, ohne es zu wissen. Ich bin kein Komponist, ich bin Lehrer. Ich unterrichte junge Menschen in Ihrer Musik.«
»Sie sind Engländer?«
»Amerikaner.«
»Amerikaner! Meine Musik. Denkt man so hoch von mir in Amerika?«
»Die meisten erheben Sie noch über Beethoven.« Ich formulierte das sorgfältig, weil ich nicht zu ihnen gehörte.
»Über wen?«
Beethoven war zwanzig. Seine erste Sonate würde in drei Jahren erscheinen.
»Beethoven«, sagte ich streng. »Ein Schüler von Haydn, dem Mann, der Ihrer Art zu komponieren ein Ende setzen wird …«
»Gott sei Dank! Wenn Sie wüßten, wie satt ich es habe. Nie kann ich mich entspannen, immer ist irgendwas. Dieser Schikaneder und seine blöde Freimaureroper! Er schreibt sie jede Woche um, je nach Wendungen im Publikumsgeschmack, dieser verrückte Erfinder mit seinen Bühneneffekten. Sie ahnen nicht, was es heißt, keine Stellung am Hof zu bekommen, Sie müssen mit … mit Unterwürfigkeit, Selbsterniedrigung, Intrigen dafür sorgen …«
»Sie haben nicht genug Ehrgeiz«, sagte ich trocken.
»Das stimmt. Das hat Puchberg auch gesagt. Aber ich verstehe nicht, was er meint. Ich schreibe jedes Stück so gut, wie ich kann …«
»Aber er will keine Vollendung! Eigentlich liegt Ihnen nichts an der Musik, oder? Jedes Stück so vollendet wie möglich, gut, aber da ist keine Qual, keine wirkliche Frage warum, wozu. Sie machen Musik, wie andere Stühle machen, oder …«
»Doch«, sagte er ernst. »Ich bin von Gott gequält. Ich trage eine Schuld.«
»Gott gegenüber?«
»Darum schreibe ich Ihre Messe. Ich habe so wenig für die Kirche komponiert.«
»Die Kirche? Aber was glauben Sie, für wen Sie schreiben? Warum komponieren Sie diese Messe?«
Er zuckte die Achseln. »Für Sie. Oder ist es für einen anderen Amerikaner?«
»Wolfgang«, sagte ich sehr freundlich, »du weißt doch sicher, daß du all deine Musik im Grunde für dich selbst schreibst.«
Er erbleichte. Er faßte meine Worte so auf, daß sie seine Furcht bestätigten.
»Nein, schau her, ich meine … ist es Musik, wenn du sie in dir trägst oder dann, wenn du sie niedergeschrieben hast, oder erst, wenn sie gespielt wird?«
»Wenn ich sie innerlich höre. Hinterher – ist es etwas anderes. Aber niemand bezahlt mich dafür, daß ich sie innerlich höre.«
»Also ist die Musik für dich. Das andere ist für die anderen.«
»Aber es ist noch mehr. Sogar mein Name …«
»Es ist auch mein Name.«
»Vielleicht bedeutet es etwas.«
»Aber kann Gott wollen, daß wir so unglücklich sind? Es gibt auch so etwas wie Lebenskunst. Hast du je daran gedacht, mit dem Schreiben aufzuhören? Wenn du es nicht mehr nötig hättest? Könntest du auskommen, ohne …«
»Musik? Aber Musik ist mein Lebensunterhalt.«
»Dein Lebensunterhalt, aber nicht dein Leben. Willst du nicht leben? Ich könnte dir Geld geben.«
»Um mich zum Schweigen zu bringen?«
»Nein! Um dir den Nutzen des Schweigens zu zeigen. Um dir eine freie Entscheidung zu
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