Die wahre Lehre - nach Mickymaus
irgendwo dort Menschen! Doch es hört sich an, als ob sie sich in die entgegengesetzte Richtung entfernten.
»Hilfe! Hier sind wir! Wir sind verletzt!«
Die Worte drangen krächzend als rauhes Flüstern aus seiner Kehle. Er wollte schreien, doch er konnte nicht. Seine Rippen schmerzten zu sehr, und seine Stimmbänder gehorchten ihm nicht.
Niemand wird dieses jämmerliche Gekrächze hören. Du mußt dich schon aufraffen und hinter ihnen herlaufen. Und zwar schnell, sofort, bevor sie zu weit weg sind.
Er setzte sich auf dem Pfad in Bewegung. Das Laub der Bäume schloß sich zu einem Dach über ihm, durch das fast kein Mondlicht drang, so daß er Schwierigkeiten hatte zu sehen, wohin er die Füße setzte. Nach einer oder zwei Minuten wurde der Pfad schmaler. Die Dunkelheit umschloß ihn, und er blieb stehen.
Das ist wahnsinnig! Wenn ich mich verirre?
Doch dann hörte er die Stimmen wieder, irgendwo an dem Hang über ihm. Sie waren immer noch schwach, aber nicht mehr so weit weg wie zuvor. Diesmal konnte er seine Stimmenmelodie mit kleinen Unterschieden in der Lautstärke, im Ton und der Klangfarbe erkennen, und er vermutete, daß es sich mindestens um drei oder vier Sprechende, die sich lebhaft unterhielten, handeln mußte.
Was sind das für Leute? Wenn ich sie nun zur Lichtung führe und sie glauben mir die Geschichte nicht? Wenn sie zu der Überzeugung kommen, ich hätte den Rasta erschossen? Wenn sie seine Freunde sind und er stirbt? Dann bringen sie mich vielleicht um. Vielleicht, das könnte passieren.
Seine Beine zitterten. Der Versuch, den Rasta retten zu wollen, war sinnlos. Der Mann hatte keine Chance. Eine seiner Lungen war zerfetzt. Er erstickte an seinem eigenen Blut. Es wäre wirklich viel vernünftiger, wenn er umkehren und über den Pfad zur Straße wandern würde, und immer weiter, bis zu seinem Hotelzimmer, wo er sich duschen und umziehen und ein Taxi zum Flughafen nehmen und sich ins nächste Flugzeug in die Vereinigten Staaten setzen könnte.
Warum, zum Teufel, soll ich das Risiko eingehen, umgebracht zu werden? Oder noch schlimmer, irgendwo in einem dreckigen jamaikanischen Gefängnis für den Rest meines Lebens dahinzudarben? Ich habe nichts verbrochen.
Da er nicht wußte, in welche Richtung er gehen sollte, blieb er stehen und lauschte auf die Stimmen über ihm am Hang. Ihre Unterhaltung hatte einen schwungvollen Rhythmus, sie glich einer einschmeichelnden Musik.
Komm jetzt, Mark! Das mag dich zwar einiges an Überwindung kosten, aber die Rettung dieses Rasta-Mannes ist das einzig wirklich Anständige, das du je in deinem Leben unternommen hast. Du kannst jetzt nicht kneifen.
Mit einer merkwürdig drängenden Entschlossenheit arbeitete er sich auf dem Pfad voran, schob Farnwedel zur Seite, watete durch Matsch und Flächen mit nassem Moos, tastete sich Schritt für Schritt vorsichtig über verflochtene, knorrige Wurzeln und bewegte sich unablässig und doch langsam genug voran, daß seine Wunde keinen brüllenden Schmerz aussandte. Jedesmal, wenn er einen Halt einlegte, konnte er die Stimmen deutlicher hören – es waren allem Anschein nach Männerstimmen – sechs oder sieben, die lyrisch ineinanderflossen und sich zu etwas vereinten, das sich jetzt mehr wie ein Singsang oder eine Litanei anhörte als nach einer normalen Unterhaltung.
Wer immer sie sein mochten, offenbar führten sie irgendeine Zeremonie oder etwas Ähnliches durch. Es gibt doch keine primitiven Stämme mehr in Jamaika, oder? Mark hatte die Vision eines großen schwarzen Suppentopfes, umringt von Kannibalen mit tätowierten Gesichtern und zugespitzten Zähnen, bis er dieses absurde Witzbild aus seinem Kopf verbannte. Du Blödmann! Was glaubst du eigentlich, wo du bist – in einem Tarzan-Comic?
Er wich einem dicken, mit Pilzen bewachsenen Baumstumpf aus, kletterte einen kleinen Damm hinauf und stellte fest, daß er auf einer ebenen Fläche stand. Hier wurde das Mondlicht nicht von Bäumen abgehalten. Eine Vielfalt von Laubgewächsen umgab ihn, keins unter zwei Meter vierzig hoch. Ein schwerer Duft stieg ihm in die Nase. Er untersuchte eine der Pflanzen genauer und erkannte sofort das vertraute Muster ihrer Blätter, die schmale elliptische Form, die Anordnung in Fünfergruppen, die üppige Pracht der Knospen, die kurz vor dem Aufbrechen zur Blüte standen.
Ganja. Ein ganzes tolles Feld voller Ganja! Ich werde verrückt!
Er war noch nicht nah genug herangekommen, um zu verstehen, was sie sagten, aber er konnte die
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