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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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drohten wegzusacken.
    Sieh dir deine Finger an! Im Mondlicht glitzern sie vor Feuchtigkeit. Er hielt sie sich dicht vor die Augen, um sicherzugehen.
    Das ist frisches Blut. Ich bin dort unten verwundet. Ein Fußtritt würde mich nicht zum Bluten bringen. Steven hat mich also doch angeschossen, wie ich vermutet hatte. Mein Gott, er hat es wirklich getan! Ich bin mit einer Schußwunde herumgelaufen, und wußte es nicht einmal! Wie schlimm ist es? Werde ich sterben, ja?
    Er hatte nicht das Gefühl, sterben zu müssen. Die Wunde tat zum Wahnsinnigwerden weh, aber er wußte, daß sie nur oberflächlich sein konnte. Die Kugel hatte wahrscheinlich seine Seite gestreift und dabei die Haut aufgerissen und eine oder zwei Rippen gebrochen, war aber sicher nicht tief eingedrungen.
    Du wirst wieder okay sein, tröstete er sich selbst. Beruhige dich doch und versuche, einen klaren Gedanken zu fassen! Du mußt dir etwas einfallen lassen! Du mußt etwas tun!
    Er ging wieder in die Mitte der Lichtung und kniete sich neben dem Rasta nieder. Der Mann atmete immer noch. Mark erhob sich und drehte sich langsam um sich selbst, wobei er die Ränder der Lichtung in Augenschein nahm. Ihm wurde klar, daß das Rufen nach Hilfe ein törichtes Unterfangen gewesen war. Der Dschungel ringsum war zu undurchdringlich, zu wild – ganz bestimmt wohnte niemand innerhalb Rufweite von der Lichtung entfernt. Vielleicht war der Pfad von Tieren gemacht worden, nicht von Menschen. Und die Straße? Welchem Zweck die Straße auch einst gedient haben mochte, jetzt war sie nicht mehr in Gebrauch. Soweit er wußte, wurde sie seit Jahren nicht mehr benutzt. Während ihrer Fahrt den Berg hinauf hatte sie sich während der letzten Meile oder so weder wie eine Straße angefühlt noch so ausgesehen, sondern eher wie die Trampelspur brünftiger Auerochsen, von der der Dschungel wieder Besitz ergriffen hatte und die er bald vollends überwuchern würde.
    Er ging zu der abschüssigen Seite der Lichtung und blickte die Straße entlang. Wie weit müßte er wohl auf ihr wandern, bis er jemanden finden würde? Er erinnerte sich, daß er am Straßenrand einige Hütten gesehen hatte, kurz bevor die kurvenreiche Strecke anfing, aber wie weit war das entfernt?
    Verzweifelt über seine Unentschlossenheit ging er wieder in die Mitte der Lichtung. Er sah hinunter zu dem Rasta, dann schaute er wieder auf, hoffte, daß ihn die tropische Düsternis auf eine Lösung bringen würde, dann senkte er den Blick erneut. Er musterte den Rasta eindringlich. Während er mit der Zungenspitze seinen abgebrochenen Zahn befühlte, überlegte er wieder, was er tun sollte. Mit Schrecken stellte er fest, daß er die Hände rang wie eine gereizte Mutter. Seine Zunge berührte einen bloßliegenden Nerv, und den Zahn durchfuhr ein brüllender Schmerz. Ein Schwindelanfall wogte durch seinen Körper und machte ihn benommen. Er starrte den Rasta an.
    Du könntest ihn den Berg hinuntertragen. Du kannst ihn so weit hinuntertragen, bis du die Hütten erreichst. Das ist die einzige Chance für den armen Kerl.
    Mark beugte sich hinunter und packte den Rasta in den Achselhöhlen. Doch als er ihn hochziehen wollte, explodierte die Wunde in seiner Seite wie eine Bombe. Er schrie auf und ließ den Rasta fallen. Zusammengekauert nach vorn geduckt, wartete er auf das Nachlassen des Schmerzes.
    Du Idiot! Du hirnverbrannter Idiot!
    Endlich erlosch das Feuer in seiner Rippengegend fast. Mit unbeschreiblicher Vorsicht reckte er seinen Rücken gerade und stellte sich aufrecht. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und wünschte, er könnte genauso leicht vierzig verheerende Jahre der Zügellosigkeit, der Langeweile und der Verzweiflung wegwischen und sein Leben neu beginnen. Wäre es nicht wundervoll, wieder Kind zu sein wie damals in Omaha, zur Highschool zu gehen und über die Eltern zu maulen und das ganze Taschengeld für die Verabredung am Freitagabend aufzuheben? Wie sehr er sein Leben seit jener Zeit vergeudet hatte!
    Plötzlich hörte er etwas. Wenigstens glaubte er, etwas zu hören. Er war sich nicht sicher, doch es klang wie Stimmengemurmel in der Ferne. Es verebbte bis an die Grenze zur Stille. Dann konnte er absolut nichts mehr hören.
    Langsam ging er über die Lichtung zu dem Pfad und blieb dort stehen, um angestrengt zu lauschen, ob er die Stimmen wieder aufnehmen konnte. Als er sie schließlich wieder hörte, fast im Unterbewußtsein, erschienen sie ihm noch weiter entfernt.
    O Gott, es sind wirklich

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