Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
doch nicht mal versucht, in der Umgebung Spuren zu sichern. Wie zum Teufel konnte er nur auf eine dermaßen durch und durch idiotische Idee kommen? Und warum hast du diesen Bericht geschrieben, der dich selbst mehr oder weniger zum Sündenbock macht? Schreib noch einen, Hanne. Der Junge ist doch so oder so erledigt. Dermaßen unüberlegt zu handeln, aufgrund eines Hinweises, den er im Dienst angenommen hat, ohne Spurensicherung, ohne … es gibt keinerlei Grund, warum du dich mit in den Sog reißen lassen solltest. So lieferst du das hier nicht ab.«
»Es ist abgeliefert«, sagte Hanne. »Bei dir. Eben gerade. Und ich nehme die Schuld auf mich, weil die Schuld nun einmal bei mir liegt. Ich habe versucht, mich daran zu erinnern, was ich zu Audun gesagt habe. Das Ganze zu rekonstruieren. Wie es im Bericht steht: Ich habe mich äußerst mißverständlich ausgedrückt. Natürlich sollte es ein Witz sein, aber ich hätte doch begreifen müssen, daß der Junge es anders auffassen würde, als eine Art … Absegnung.«
»Hanne …«
Annmari hatte sich jetzt etwas gefaßt, das Kräfteverhältnis zwischen beiden Frauen schien sich geändert zu haben. Sie rückte die Schreibtischlampe zurecht und zog eine neue Kerze aus der Schublade.
»Vielleicht sollte ich mir eine andere Beschäftigung suchen«, fügte Hanne hinzu. »Sicherheitshalber.«
Sie lächelte verlegen.
»Meine Zeit bei der Polizei ist vielleicht zu Ende. Ich könnte so viele andere Dinge machen. Ich bin im richtigen Alter. Zweiundvierzig Jahre. Wenn ich in diesem Leben überhaupt noch etwas anderes versuchen will, dann muß ich jetzt die Gelegenheit nutzen.«
Annmari steckte die Kerze in den Halter und zündete sie an. Dann erhob sie sich und ging zu Hanne hinüber. Sie ging neben ihr in die Hocke. Hanne wandte sich ab. Die Arme hatte sie noch immer fest und abwehrend über der Brust verschränkt.
»Du könntest ohne diesen Job nicht überleben«, sagte Annmari ruhig. »Und für uns wäre es ohne dich auch unendlich viel langweiliger. Ich wünschte nur … daß du ab und zu ein bißchen taktisch vorgingest. Wenn es um andere Menschen geht. Ich habe nie begriffen, warum du um jeden Preis den Laden hier herausfordern mußt. Ich bin noch nicht so lange hier wie du, aber ich habe Geschichten darüber gehört, wie du früher warst. Distanziert, ja gut, aber du hast dich immer an die Vorschriften gehalten. Immer tadellos. Was … was ist passiert, Hanne?«
»Ich war müde. Ich konnte nicht mehr.«
»Was denn? Was konntest du nicht mehr?«
Hannes Augen liefen über.
»Das ist nur eine Entzündung«, sagte sie.
Vorsichtig versuchte Annmari, ihre Hand zu nehmen.
»Ich weine wirklich nicht«, sagte Hanne laut. »Meine Augen tun nur so schrecklich weh. Und ich hab einfach keinen Nerv, über meine privaten Angelegenheiten zu reden. Wir haben doch eigentlich auch so mehr als genug Gesprächsstoff.«
Sie nickte zu den Waffen hinüber.
»Mehr als genug«, wiederholte sie und versuchte, sich anders hinzusetzen, ohne Annmari zu berühren.
»Sie haben es auf dich abgesehen, Hanne.«
»Wer?«
»Die Chefs. Sie haben es total satt. Du hast so viele Sonderregeln für dich gefordert, daß ihre Geduld zu Ende geht. Der Abteilungsleiter …«
»Der ist vor allem sauer auf dich.«
»Da bin ich nicht so sicher. Außerdem ist hier nicht von mir die Rede. Der Abteilungschef ist stocksauer darüber, daß du nicht im Team arbeiten kannst, daß du immer … du weißt, was ich meine. Was er meint. Und Puntvold hat die Sache auch satt. Er hat mich nicht weniger als dreimal auf dich angesprochen. Und das allein in dieser Woche.«
»Dieser Scheißheuchler«, sagte Hanne wütend. »Mir kriecht er doch dauernd hinterher!«
»Er meint, du brauchtest Urlaub. Seist überarbeitet. Hält dein ganzes Gerede über Sidensvans für eine fixe Idee. Und eigentlich ist er da ja nicht der einzige.«
»Und du?« fragte Hanne und schaute ihr endlich in die Augen. »Siehst du das auch so?«
Annmari erhob sich und schüttelte ein Bein aus.
»Wie ich das sehe?« fragte sie, als sie sich wieder gesetzt hatte. »Ich denke auch, daß ein Urlaub dir guttun würde. Das war doch auch so geplant. Oder nicht? Daß du dir über Weihnachten vierzehn Tage freinehmen wolltest?«
»Ist Sidensvans deiner Ansicht nach eine fixe Idee von mir?«
Annmari hatte die Waffen noch immer nicht berührt. Sie musterte sie nur durch die Plastiktüte, als könne sie noch immer nicht begreifen, daß sie wirklich
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