Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
vorhanden waren.
»Knut Sidensvans ist einem grauenhaften Verbrechen zum Opfer gefallen«, sagte sie. »Und deshalb ist er eindeutig wichtig. Aber so, wie der Fall inzwischen explodiert ist, kann ich nicht einsehen, wieso es gerade jetzt solche Eile haben soll, mehr über ihn herauszufinden. Natürlich muß das geschehen. Aber unsere Mittel sind begrenzt. Die Beweise gegen gewisse Stahlbergs strömen nur so herein. Wie nach einem Dammbruch. Wir müssen mit Eile weilen. Der Sache Struktur geben, Stein auf Stein türmen und dafür sorgen, daß die Anklage, wenn sie denn irgendwann einmal erhoben wird, so unangreifbar ausfällt wie möglich. Alles zu seiner Zeit, Hanne!«
»Aber hör mir doch zu!«
Hanne schob die Waffentüten beiseite, lässig und beiläufig mit dem Handrücken, dann beugte sie sich zu der Polizeijuristin vor.
»Wir sollten die da wohl so schnell wie möglich in Sicherheit bringen«, sagte Annmari und zeigte auf die Waffen. »Die können doch nicht einfach so hier rumliegen …«
»Ein Verbrechen«, sagte Hanne laut. Annmari wäre fast zusammengezuckt. »Ab und zu denke ich, daß ein Verbrechen seine eigene … Persönlichkeit hat. Und was mir in all diesen Jahren geholfen hat, war, daß ich immer versucht habe, mich hineinzuversetzen. In das Verbrechen. Ich versuche …«
Sie legte die Hand hinters Ohr und lächelte.
»Ich versuche, zu hören«, sagte sie. »Was es mir erzählt.«
»Und der Fall Stahlberg erzählt dir …«
»Vielerlei. Erstens, daß es nicht geplant gewesen sein kann. Nicht so, wie es durchgeführt wurde, jedenfalls. Natürlich kann irgendwer Pläne für diesen Abend gehabt haben, um eins oder mehrere der Opfer umzubringen, aber der ganze Tatort ist zu auffällig, zu … laut. Zu lärmend. Der Täter oder die Täter hatten zum Beispiel ungeheures Glück, daß sie nicht gehört oder gesehen worden sind.«
»Schalldämpfer«, sagte Annmari und zeigte wieder auf die Waffen.
»Aber denk an das Geheul der anderen. An das Geschrei.«
»Hermine wurde doch gesehen. Wie ich dir gesagt habe. Als sie vom Tatort davonstürzte.«
»Vielleicht.«
Hanne nickte eifrig.
»Das ist gut möglich. Wir wissen nicht sicher, ob sie es war, aber es ist durchaus möglich, daß Hermine die Morde begangen hat. Und wenn Billy T.s Waffenfrau …«
»Waffenfrau?«
»Vergiß es. Wenn diese Waffenverbindung die Glock hier identifizieren kann, dann sitzt Hermine wirklich in der Tinte. Aber hör zu, Annmari. Hör dem Verbrechen zu. Versuche, der Logik der Morde zu folgen.«
Annmari ertappte sich wirklich dabei, daß sie horchte, daß sie den Atem anhielt, um vielleicht eine Stimme zu erfassen, durch die Wand, von den Waffen her, aus ihrem eigenen Kopf.
»Hörst du?«
Hanne hielt ihren Blick fest.
»Die Lage ist chaotisch«, sagte sie leise. »Sidensvans kommt zu Besuch. Ein willkommener Gast. Er soll festlich empfangen werden, mit Champagner und Gourmet-Häppchen. Und Kuchen. Der Hausvater öffnet die Tür. Fröhlich, vielleicht. Und dann wird Sidensvans erschossen.«
»Wir wissen doch nicht …«
»Sidensvans wurde als erster erschossen, Annmari. Er fällt vornüber. Hermann …«
»Hanne! Wir haben das alles noch nicht rekonstruiert! Daran wird wie besessen gearbeitet, aber …«
»Hör doch zu, zum Henker!«
Hanne beugte sich jetzt weit vor und ergriff Annmaris Hände.
»Der Täter steht auf der Treppe oder bei der Haustür. Er erschießt Sidensvans. Danach geht er zum Treppenabsatz hoch und erschießt Hermann. Preben stürzt herbei. Und wird ebenfalls erschossen. Nur so läßt die Position der Leichen sich erklären. Sidensvans noch im Mantel, die Füße über der Türschwelle. Hermann dahinter, und Preben …«
»Ja, sicher!«
Annmari riß ihre Hände los.
»Das haben wir ja als eine Art Arbeitshypothese genommen, aber was …«
»Der Täter geht weiter in die Wohnung hinein. Wir haben die ganze Zeit geglaubt, daß er zu Turid wollte. Auch sie töten. Aber was, wenn es dem Täter gar nicht um Turid ging? Was, wenn der Mörder nur sichergehen wollte, daß es keine Zeugin mehr gab?«
»Aber sie …«
»Sidensvans wurde zuerst ermordet, Annmari! Wenn Hermine schuldig ist, dann will ich wissen, was sie gegen Sidensvans hatte. So, wie der Fall zu mir spricht, erzählt er die Geschichte von einem mißlungenen Mord.«
»Es waren vier Morde.«
»Die vielleicht gar nicht hätten passieren sollen. Daß wir heute, acht Tage darauf, tonnenweise über Beweise verfügen, die
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