Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Schulter legte. Das fand er widerlich. Diese Menschen machten ihn krank, diese Familie, dieser zusammengescharte Haufen, der lediglich aus Tradition und genetischen Zusammenhängen sich jedes Jahr am Ersten Weihnachtstag herausgeputzt und gierig über Hermanns und Tuttas ausnahmsweise einmal großzügig gedeckten Tisch hergemacht hatte.
»Dann scheinen ja wohl alle hier zu sein«, erklärte Alfred, der frisch geduscht war und dessen Rasierwasser bis zu Carl-Christian hinüberduftete. Carl-Christian wollte sich nicht setzen und lehnte an der Wand.
»Abgesehen von unserer lieben Hermine natürlich, die, wie wir alle wissen, im Krankenhaus liegt und deshalb nicht kommen konnte. Auf jeden Fall seid ihr alle hier willkommen.«
Carl-Christian ließ seinen Blick über die Versammlung schweifen. Einige schienen wirklich traurig zu sein, andere waren aus purer Neugier erschienen und konnten das nur schwer verhehlen. Und der Vetter, der gelassen neben Carl-Christian stand und versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken, hatte sich offenbar aus purem Pflichtgefühl eingefunden. Jennifer Calvin Stahlberg und die drei Kinder nahmen eine Art Ehrenplatz ein, auf drei nebeneinanderstehenden Stühlen am einen Ende des Wohnzimmers. Die Witwe hielt die Jüngste auf dem Schoß. Die Kleine war kurz vor dem Einschlafen und hatte den Daumen in den Mund gesteckt. Zu beiden Seiten der Mutter saßen die Söhne, ernst und ohne zu weinen. Jennifers Augen waren verheult und geschwollen, aber jetzt hielt sie sich aufrecht und flüsterte der Kleinen liebevoll ins Ohr.
Alfred schlug eine Schweigeminute zum Gedenken an die Toten vor. Niemand widersprach, es war ja ohnehin schon still genug.
»Wenn ich euch zu diesem Treffen gebeten habe«, sagte Alfred nach über zwei Minuten, »dann natürlich vor allem, weil es richtig erscheint, sich nach einem so grauenhaften Erlebnis zusammenzusetzen. Einige von uns waren zwar auch am vergangenen Freitag schon zusammen, aber da war alles noch so frisch, und alle waren so geschockt, daß …«
Er räusperte sich.
»Nicht alle konnten kommen. Aber jetzt«, er breitete die Hand aus, wie um sie alle zu segnen, »sind wir hier. Möchte jemand etwas sagen?«
Alles schwieg. Alfreds Schwestern, die eine schlank und verhärmt, die andere rund und üppig wie Alfred selbst, weinten in ihre bestickten Taschentücher. »Dann nicht«, sagte Alfred und konnte seine Verärgerung über die Passivität der Versammlung nicht verhehlen. Er schlürfte ein wenig Kaffee.
»Über diese Tragödie gibt es noch nicht viel zu sagen«, sagte er. »Was passiert ist, ist einfach grauenhaft und übersteigt jeglichen Verstand. Jedenfalls meinen.«
Er lachte ein kurzes Lachen, das selbstironisch klingen sollte, aber er hatte sein Publikum falsch eingeschätzt. Alle starrten zu Boden.
»Wir müssen jetzt unbedingt zusammenhalten«, fügte er rasch hinzu. »Wir müssen einander unterstützen. Wir müssen zum Beispiel einen Pressesprecher wählen. Einige von euch sind doch schon von Presseleuten aufgesucht worden, und bestimmt war das unangenehm.«
»Ich halte es für das richtigste, daß wir uns überhaupt nicht äußern«, sagte ein Mann von Mitte Dreißig. »Jedenfalls nicht vor der Beerdigung.«
Carl-Christian hatte seinen Vetter Andreas immer schon gut leiden mögen. Er hatte etwas von Hermine, etwas Freundliches, Zuverlässiges, er spielte sich nicht in den Vordergrund. Deshalb war es ziemlich überraschend, daß er dem Onkel hier widersprach.
»Die Presse hat uns allen schon zugesetzt«, sagte Andreas. »Und wir wissen, worum es ihnen geht. Von welchen Theorien sie ausgehen.«
Carl-Christians Wangen glühten. Niemand sah ihn an. Im Gegenteil, das Interesse an den Einrichtungsgegenständen war plötzlich ungeheuer groß.
»Nur eins wollte ich sofort sagen«, fuhr Andreas fort, er war jetzt aufgestanden und kehrte Alfred den Rücken zu. »Ich glaube nichts von dem, was in der Presse angedeutet wird. Wir kennen CC gut. Niemand von uns hier …«
Er richtete seinen Blick auf Carl-Christian.
»… niemand von uns glaubt auch nur einen Moment, daß jemand aus der Familie hinter diesem entsetzlichen Verbrechen stecken kann. Aber wir wissen ja, wie die Presseleute sind. Sie legen uns das Wort in den Mund, gerade Leuten wie uns, die keine Erfahrung mit solchen Dingen haben. Wir müssen Respekt für unsere Entscheidung verlangen, daß wir uns nicht äußern werden, bis unsere Verwandten beigesetzt sind. Und danach sehen wir dann
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