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Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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legte die Bilder wieder hin. Das Testament schob sie zwischen zwei Bildbände über Ägypten ins untere Regalfach. Danach rief sie Carl-Christian an.
    Aber der kam und kam nicht. Es dauerte so lange. Sie fand keine Ruhe, lief hin und her und schaute immer wieder auf die Uhr.
    Als erstes fiel ihr der Teppich im Wohnzimmer auf. Er lag falsch. Das wußte sie, ein Rotweinfleck, den sie immer unter dem Sofa versteckte, lag jetzt offen und sichtbar da. Ihre Angst wuchs, während sie verzweifelt Ausschau nach weiteren Veränderungen hielt. Die Bücher in den Regalen waren verschoben worden. Da war sie sich sicher. Ihre Rücken standen ungleichmäßig da, mehrere ragten über das Fach hinaus.
    Carl-Christian, natürlich. Sie versuchte, ganz ruhig durchzuatmen. Carl-Christian hatte ihr am Samstag doch geholfen. Hatte sie ins Krankenhaus gebracht. Er mußte es gewesen sein. Was ihn dazu bewogen hatte, Teppiche zu verdrehen und Bücher anders zu stellen, wußte sie nicht, aber Carl-Christian war ihr Bruder und liebte sie und war für sie keine Gefahr.
    Im Schlafzimmer herrschte Chaos. Überall Bettzeug und Erbrochenes.
    Zwei Bilder hingen schief.
    Sie hatte diese Bilder nicht angerührt. Sie konnte sich allerdings an nichts erinnern. Sie konnte gefallen oder gestikulierend gegen die Wand gestoßen sein, wütend auf Carl-Christian, der sie ins Krankenhaus schaffen wollte; was wußte Hermine denn schon.
    Warum hätte sie die Bilder anrühren sollen?
    Sie hingen nicht einmal in der Nähe des Bettes. Carl-Christian hatte nichts davon erwähnt, daß sie sich gewehrt hätte.
    Die Tür war nicht aufgebrochen worden, aber jemand hatte offenbar ihre Wohnung durchsucht.
    Und nun beschloß sie, nicht auf ihren Bruder zu warten. Sie streifte ihren Mantel über und schob die Füße in irgendwelche Turnschuhe, dann schwankte sie aus dem Haus. Fünf Minuten darauf stand sie in der normalerweise meistbesuchten Einkaufsstraße in Oslos Westen. Die Weihnachtsdekorationen tauchten den Bogstadvei in grelles Licht. Plötzlich blieb sie stehen, unter einem Stern aus Tannenzweigen, der schneeschwer an einer altmodischen Laterne hing. Sie war allein. Es war die Nacht vor dem Heiligen Abend, und kein Mensch war zu sehen. Sie wußte einfach nicht, wohin.
    Im Grunde hatte sie das nie gewußt, seit damals, da sie als kleines Mädchen brutal zu der Erkenntnis gezwungen worden war, daß niemand sie beschützen konnte.
    Später war sie stets dorthin gegangen, wohin es sich zu gehen lohnte, wo jemand bereitwillig mit Geld oder Aufmerksamkeit bezahlte oder sie einen kurzen Moment der Zusammengehörigkeit fand. Nichts von allem war wahr oder wirklich, außer vielleicht jener Ahnung von Liebe, die sie bei ihren Brüdern gefunden hatte, vor allem bei Carl-Christian. Bei anderen war Aufmerksamkeit ein Tauschobjekt: Hermine bezahlte mit einer kleinmädchenhaften Fügsamkeit. Doch hinter ihrem niedlichen, verlogenen Wesen lagen große Geheimnisse verborgen.
    Und deshalb war es ihr so schwer gefallen, selbst die Kontrolle zu übernehmen. Die letzten Monate, in denen Hermine zum ersten Mal so gehandelt hatte, wie sie es für richtig und wahrhaftig hielt, hatten ihr fast sämtliche Kräfte geraubt.
    Sie wollte nur, daß irgendwer sich um sie kümmerte, sie tröstete und ihr versprach, daß alles wieder in Ordnung kommen würde. Sie wollte hören, daß sie geliebt wurde und daß irgendwer sie wirklich brauchte.
    Endlich wußte sie, wohin sie gehen würde.
    In der Küche roch es nach Tabak, als Hanne kurz vor Mitternacht von der Wache kam.
    »Hallo«, sagte sie und rümpfte die Nase. »Darf Marry neuerdings hier rauchen?«
    »Nur ausnahmsweise«, sagte Nefis lächelnd. »Sie hat heute schrecklich viel gearbeitet. Hast du den Tisch gesehen?«
    Hanne nickte. Im Wohnzimmer war ein wunderbarer Weihnachtstisch gedeckt worden. Rote Tischdecke, Kristall, grüne Zweige waren überall verteilt. Vergoldete Kerzenhalter und Service mit kleinen Weihnachtsmännern. Über dem Ganzen hingen an einer Art Gitter, das an der Decke befestigt war, durchsichtige Glaskugeln mit aufgemalten Mustern, dicht an dicht, in allen Größen.
    »Schön«, sie lächelte. »Bestimmt hast du ihr geholfen. Vielleicht ein wenig zu gewaltig. Aber die Kinder werden begeistert sein.«
    »Komm«, sagte Nefis und klopfte auf den Stuhl neben ihrem. »Setz dich. Hattest du einen anstrengenden Tag?«
    Hanne küßte sie leicht auf die Stirn und ließ sich auf den Stuhl sinken.
    »Rat mal. Ich bin so müde, daß ich

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