Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
nur Jennifer und wir kennen seinen Inhalt. Woher … woher weißt du eigentlich darüber?«
»Ich habe ein anderes«, sagte sie tonlos. »Ich habe ein neueres. Ein ganz neues.«
Carl-Christian drückte vor Schreck auf den falschen Knopf. Ein schriller Ton sorgte dafür, daß ihm das Telefon aus der Hand fiel.
»Hallo«, rief er, als er es endlich wieder an sein Ohr halten konnte. »Hermine, bist du da?«
»Ich habe ein neues Testament. Ich habe Papa dazu überredet, ein neues zu schreiben, eins, in dem …«
»Wann? Wann war das?«
»Vor drei Wochen, CC .«
Carl-Christian war kein gewiefter Jurist. Aber er wußte immerhin, daß ein neues Testament ein altes ungültig macht. Er spürte einen Kloß im Hals. Das Blut pochte in seinen Ohren.
»Komm her, CC . Ich bin wieder zu Hause.«
»Zu Hause? Du darfst doch nicht …«
»Ich bin zu Hause. Komm.«
Die Verbindung wurde unterbrochen. Carl-Christian ließ sich langsam auf das Bett sinken. Er starrte das Telefon an, als handele es sich um eine brandneue Erfindung, deren Sinn er nicht so recht erfassen konnte.
»Wer war das?«
Mabelle war lautlos hereingekommen.
»Hermine«, murmelte er. »Das war Hermine.«
»Was wollte sie?«
Noch immer starrte er sprachlos sein Nokia an.
»Sie hat ein neues Testament«, flüsterte er und schaute endlich auf. »Ich habe keine Ahnung, wie sie das hingekriegt hat.«
Sein Gesicht zeigte eine Mischung aus Überraschung, Hoffnung und nackter Angst.
»Und ist das günstiger für dich? Für uns?«
»Ich habe keine Ahnung. Sie will, daß ich zu ihr komme. Sie ist zu Hause.«
»Wir müssen hin«, sagte sie entschieden. Sie wußten beide nicht so recht, wer von ihnen die größere Angst hatte. Carl-Christian umklammerte das Bettzeug, seine Fingernägel bohrten sich in seine Handfläche.
»Du hast recht«, sagte er endlich, und seine Stimme überschlug sich fast.
Natürlich fand er nichts. Eine gute Stunde Arbeit in Kälte und leichtem Schneegestöber brachte keinerlei Ertrag. Er war sicher, daß er die richtige Stelle gefunden hatte; die Spuren des alten Loches waren im Eis noch deutlich zu sehen. Als der Bohrer das Eis endlich durchbrochen hatte, hörte er das Wasser unter dem Eisdeckel glucksen. Seine Haut prickelte, als er den Arm hineinschob.
Er schämte sich. Die ganze Idee war idiotisch gewesen, von vorn bis hinten. Zum einen hatte er jemanden verdächtigt, der sich zwar seltsam verhalten hatte, aber seltsame Menschen gibt es überall, das wußte der Alte ja selber, er war schließlich auch so einer. Zum anderen wußte er gar nicht, wie tief das Wasser war. Er hatte kein Meßlot mitgebracht. Das Glück war dann aber auf seiner Seite. Als er sich auf dem Eis flach hinlegte und den ganzen Arm ins Loch steckte, konnte er mit den Fingerspitzen gerade eben einige glatte, unebene Steine ertasten. Er tastete vielleicht einen halben Quadratmeter Seeboden ab, dann konnte er nicht mehr und mußte aufgeben.
Der alte Mann ärgerte sich über sich selbst. Seine Ahnungen hatten ihn betrogen, und schlecht war ihm noch dazu. Klamme Kälte schnürte ihm die Brust zusammen, und er mußte ununterbrochen niesen. Zum Glück war es der Tag vor Heiligabend, und es gab viele unterhaltsame Fernsehsendungen. Zu Hause kochte er sich eine große Tasse Tee mit Honig, machte es sich gemütlich und versuchte, die ganze Sache zu vergessen.
Er fühlte sich fiebrig, und draußen war es hundekalt.
Mühsam stand er auf, um im Ofen Holz nachzulegen.
Hermine Stahlberg wurde jetzt langsam nüchtern. Vergeblich versuchte sie, sich an die Reste des nachmittäglichen Rausches zu klammern. Es half nichts. Die Giftstoffe waren fast abgebaut und hinterließen nur Verwirrung. Hermine wußte nicht, was sie jetzt machen sollte.
Sie schwankte den Bogstadvei hoch und versuchte zu begreifen, was geschehen war.
Das Krankenhaus hatte sie nur widerstrebend gehen lassen. Der Arzt hatte halbherzig versucht, sie zum Bleiben zu überreden. Aber auch er schien an die bevorstehenden freien Tage zu denken. Nur eine Stunde, nachdem sie aus dem Bett aufgestanden war, hatte sie ihren festen Lieferanten in Majorstua erreicht. Das Geschäft war rasch abgeschlossen gewesen. Sie fuhr sofort nach Hause und dosierte die Zufuhr diesmal genauer.
Der Rausch ließ ihre Hände ruhig werden. Sie konnte die Schubladen aus dem Küchenschrank ziehen und die locker festgeschraubte Furnierplatte vor dem Hohlraum in der Wand lösen. Die Fotos waren noch vorhanden, das Testament auch. Sie
Weitere Kostenlose Bücher