Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
zusammenzuarbeiten. Diese Liste fiel erschreckend kurz aus.
    Die Kruses gate lag einsam und verlassen vor ihr.
    Kein Vorhang bewegte sich. Kein Gesicht wich plötzlich hinter Gardinen zurück. Hanne hatte eigentlich allen Grund, sich wohl zu fühlen, aufzuatmen unter all diesen Menschen, die sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerten und füreinander ansonsten nicht existierten. Frogner war für Hanne ein Stadtteil, in dem die Menschen zu Namen auf Türschildern reduziert waren und wo von den Nachbarn höchstens ein vorsichtiges Nicken im Treppenhaus zu erwarten war. Sie wäre eigentlich die perfekte Bewohnerin für einen solchen Stadtteil.
    Aber statt dessen fand sie diese fehlende Neugier nur verwirrend. Sie nahm ihr die Möglichkeit, selber zu entscheiden, was die anderen glauben sollten. Denn es gab sie ja doch, hinter verschlossenen Türen und vorgezogenen Vorhängen, auch hier gab es Menschen, viele natürlich, aber Hanne hatte keine Möglichkeit, ihnen Halbwahrheiten über sich selbst zu servieren. Das machte sie nervös und angespannt, wenn sie nach Hause ging. Dieses Gefühl wurde immer schlimmer, je mehr sie sich ihrer eigenen Wohnung näherte, und es nahm erst wieder ab, wenn sie sich hinter der anonymen Tür mit den drei nichtssagenden Nachnamen verbarrikadiert hatte, die in eine unter der Klingel angebrachte Messingtafel eingraviert waren.
    Sie bog um ihre eigene Hausecke. Als sie die Tür öffnen wollte, fuhr sie dermaßen zusammen, daß ihr der Ordner, den sie bei sich trug, aus der Hand fiel.
    Ein Hund hatte ihr Bein gestreift. Er war hinter der niedrigen Mauer hervorgekommen, hinter der erst vor wenigen Wochen ein hölzernes Häuschen für die Mülltonnen errichtet worden war.
    Der Hund war häßlich und grau. Sein Nacken wirkte im Verhältnis zu seiner schmalen Hinterpartie geradezu riesengroß. Ein Ohr war fast abgerissen. Auf der linken Hinterbacke leuchtete im Schein der Straßenlaterne eine Wunde auf. Das Tier hinkte stark, legte aber ein bemerkenswertes Tempo vor, als es über die Straße jagte und hundert Meter weiter in einem Hinterhof verschwand.
    Hanne keuchte auf. Das Adrenalin wurde so heftig durch ihren Körper gepumpt, daß sie spürte, wie die Wärme in ihre gefrorenen Zehen zurückkehrte. Sie bückte sich nach dem Ordner und staunte darüber, wie schreckhaft sie geworden war. Das kam natürlich von der Stille, und außerdem war sie ganz und gar in Gedanken versunken gewesen, als dieser scheußliche Köter plötzlich aufgetaucht war. Ihr Puls raste noch immer, als ihr ein Gedanke kam; langsam richtete sie sich auf, ohne den Ordner aufgehoben zu haben.
    Sie hatte von diesem Hund gehört. Nefis hatte irgendwann im Herbst eine Anwohnerversammlung besucht, auf der beschlossen worden war, ein Müllhäuschen zu bauen, um Ratten und andere Tiere fernzuhalten. Hanne konnte sich jetzt deutlich daran erinnern, sie hatte laut gelacht über den Glauben der Westendbewohner, daß ein einfaches Holzhäuschen die Ratten abhalten könnte. Aber Nefis hatte damals auch einen Hund erwähnt.
    Es war wirklich ein beängstigendes Tier, und Hanne blieb lange nachdenklich stehen, ohne zu merken, wie kalt es war.
    Sie war im Moment so schreckhaft, und das machte ihr Sorgen.
    Alexander schlief. Er lag fast quer im Bett, auf dem Bauch, sein Gesicht ruhte auf seiner rechten Hand, der linke Arm baumelte über die Kante. Die Decke bedeckte nur seinen halben Leib. Im schwachen Licht, das von der Diele her in den Raum sickerte, konnte Hanne die Konturen seines Pos ahnen. Der Junge schlief nackt und mit Socken. Die waren sicher irgendwann einmal weiß gewesen. Jetzt waren die Fußsohlen schmutzig und staubig, und das Gummi hing schlaff um die Knöchel.
    Alexander schlief lautlos.
    Neben dem Bett standen ein Pappkarton und ein Seesack mit Kleidern. Beides war noch ungeöffnet.
    »Er glaubt noch nicht richtig, daß er hier sicher ist«, flüsterte Nefis. »Er macht keinen Versuch, hier zur Ruhe zu kommen.«
    »Was hast du denn erwartet«, sagte Hanne. »Er ist ja noch nicht mal einen Tag hier.«
    »Wie war das eigentlich?« fragte Nefis, sie flüsterte noch immer, obwohl der Junge tief schlief.
    »Was denn?«
    »Rausgeworfen zu werden.«
    »Ich bin nicht rausgeworfen worden. Sondern rausgeekelt. Und das ist noch schlimmer.« Hanne kämpfte gegen den Impuls an, den Jungen zuzudecken. Eigentlich dürften sie selbst und Nefis überhaupt nicht hier sein. Er hatte schließlich die Tür geschlossen, als er schlafen

Weitere Kostenlose Bücher