Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
bei der norwegischen Polizei nicht gefoltert, aber es war auch nicht gerade eine freundliche Geste, Menschen zehn Stunden lang ohne Speis und Trank in einer überhitzten Zelle sitzen zu lassen. Und jetzt, wo er endlich etwas zu trinken hatte, hatte er vor allem Angst davor, zum Beispiel durch zittrige Hände seine Angst zu zeigen. Das Wasserglas mußte also unberührt stehen bleiben.
    Die Frau, die ihn verhören sollte, mochte Anfang Vierzig sein. Carl-Christian versuchte, sich ihr Aussehen einzuprägen, sich auf das ovale Gesicht mit den ersten Fältchen um die großen blauen Augen zu konzentrieren. Die waren übrigens nicht ganz blau; eine Art Ring zog sich um die Iris, ein kohlschwarzer Rand um das helle Innere. Carl-Christian dachte widerwillig an einen Science-fiction-Film, in dem Eindringlinge aus einer anderen Galaxis sich in Menschengestalt unter die ahnungslosen Erdlinge mischten, die noch nicht gelernt hatten, die Fremden an ihren Augen zu erkennen, denn die waren zur Hälfte schwarz und zur anderen Hälfte blau.
    Er mußte diese Frau einfach anstarren. In der Nacht, in den vielen absurden Stunden in einem nach Urin stinkenden Raum, in dem er kaum drei Schritte hatte machen können, hatte er gespürt, wie die Wirklichkeit ihm entglitt. Für einen Moment hatte er seine Mutter im Sommer vor sich gesehen, in einem scheußlichen Kleid, von dem der Vater behauptete, daß es ihm gefiel; es war geblümt, und dem kleinen Carl-Christian kamen die Sonnenblumen vor wie lächelnde Löwen. Ein munterer Katzenkopf war in seinen Gedanken aufgetaucht, dann hatte er so heftig gegen die Wand der Zelle geschlagen, daß seine schmerzenden Fingerknöchel ihn in die Wirklichkeit zurückgerissen hatten.
    Für einen Moment hatte er geglaubt, zu schlafen, das war wohl gegen drei gewesen. Sie hatten ihm seine Armbanduhr weggenommen, deshalb konnte er das nicht mit Sicherheit sagen. Ihm war kalt gewesen. Der Schnee hatte ihn geblendet. Er hatte aus zusammengekniffenen Augen in eine bleiche Frühjahrssonne geschaut und hatte viel zu große Skier, die er gerade hatte hochheben wollen, als er gemerkt hatte, daß er in das Loch in der Mauerecke pißte. Gegen Morgen war ihm aufgegangen, daß er die Wirklichkeit nur dann behalten konnte, wenn er seinen Blick auf etwas ganz Konkretes richtete.
    Die Frau war eigentlich hübsch, auch wenn Mabelle vermutlich ihr geraten hätte, ein paar Kilo abzunehmen. Ihre Haare waren ungleich lang und sicher lange nicht mehr geschnitten worden. Aber sie waren glänzendbraun und fielen locker über ihre Schultern. Die Kleidung war ein Kapitel für sich. Carl-Christian versuchte, an Kleider zu denken. An Mode. An Mabelles Zeitschrift, an M & M, mit der sie gerade jetzt einen netten kleinen Überschuß erwirtschaften könnte. Wenn das hier nicht passiert wäre. Die Götter mochten wissen, wie alles weitergehen würde. Er wagte nicht einmal, daran zu denken, was die Presse ihnen antat, während sie hier festsaßen.
    »Ihnen muß klar sein, daß wir von unserer Seite aus immer wieder betonen, daß dieser Fall noch längst nicht geklärt ist«, sagte die Polizistin. »Den Medien gegenüber, meine ich.«
    Carl-Christian versuchte, sich zu erinnern, wie der Film geheißen hatte, der Film, in dem die Eindringlinge mit den blauschwarzen Augen die Gedanken der Menschen hatten lesen können, weshalb sie am Ende eine Matrix unserer gesamten Existenz in eine riesige Raumfähre hatten verlegen können.
    »Sind Sie eigentlich bereit, überhaupt irgend etwas zu sagen?«
    Er konnte sich nicht an ihren Namen erinnern. Er erinnerte sich an gar nichts mehr, so sehr er sich auch auf andere Dinge konzentrierte als diesen Durst, diesen schrecklichen Durst, gegen den er nichts zu unternehmen wagte, er vergaß immer wieder ihren Namen, aber sie kam ihm durchaus freundlich vor, zeigte eine unerklärliche Milde, die ihn verwirrte und die es ihm unmöglich machte, sich daran zu erinnern, wer sie war und was er hatte sagen wollen.
    »Hanne Wilhelmsen«, wiederholte sie zum dritten Mal. »Ich heiße Hanne Wilhelmsen.«
    Carl-Christian Stahlberg war das Lügen durchaus nicht fremd. Er hatte einmal gelesen, daß ein Mensch durchschnittlich fünfmal am Tag lügt. Ihm kam das wenig vor. Er konnte durchaus beifällig nicken, wenn jemand eine blödsinnige Behauptung aufstellte. Ihm machte es nichts aus, sich einvernehmlich mit den Nachbarn für Dinge zu begeistern, die er total uninteressant fand. Auch das waren Lügen. Die Lüge war ein

Weitere Kostenlose Bücher