Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
eigentlich klar? Wieso vertraute sie ihm nicht?
Ich vertraue dir, wenn du dir selbst vertraust .
Nachdenklich sah er Sanburne an. Er hatte den Freund wegen seiner Besorgnisse für kindisch gehalten. Aber war es nicht noch sehr viel kindischer, eine Fähigkeit in Abrede zu stellen, die einen dazu brachte, sich in eine Ecke zu setzen und um die Vergangenheit zu weinen, auch wenn diese sich nicht mehr ändern ließ?
»Ja«, sagte Phin. »Natürlich kann ich dir helfen.«
Sanburne atmete aus, nickte einmal und grinste ihn dankbar an. »Wie in den guten alten Zeiten«, sagte er.
Nein, dachte Phin. Besser noch. Ab jetzt wird alles viel besser. Lass sie so dicht an der Klippe tanzen, wie sie möchte. Phin wusste, dass er sie rechtzeitig auffangen konnte.
Mina saß auf einer Parkbank und sah den Gänsen zu, die am Ufer des Serpentine-Sees grasten. Es war bereits Mittag, doch die Sonne verschanzte sich noch immer hinter den Wolken. Während Mina am Wasser saß und auf einen Verbrecher wartete, lag die feine Gesellschaft Londons noch in den Federn. Bonham hatte diesen Treffpunkt geschickt gewählt. Das gegenüberliegende Ufer wurde zwar von Ulmen gesäumten, aber von dort einen treffsicheren Schuss abzugeben, war unmöglich. Auf der Uferseite, auf der sich Mina befand, stand weit und breit kein Baum. Die Blumenbeete und der gepflegte Rasen sowie die Sträucher der Rotten Row lagen zehn Minuten entfernt. Hier wuchs das Gras eher spärlich, wurde es doch immer wieder von den Menschen zertreten, die hier entlangliefen.
Mina war nervös. Obwohl sie eine Waffe bei sich trug. In den Falten ihres Rockes verbarg sie eine Pistole. Die Möglichkeit, ins Geschehen einzugreifen, machte sie zu einer Akteurin, nicht zu einer Statistin. Genau das hatte sie gewollt, und endlich hatte Phin ihr die Gelegenheit dazu gegeben.
Er beobachtete sie, doch sie würde sich nicht zu ihm umdrehen. Zu wissen, dass sein Blick aus der Ferne auf sie gerichtet war, gab ihr das Gefühl der Sicherheit. Dasselbe Gefühl, das sie empfand, wenn er sie in den Armen hielt. Beim Betreten des Parks hatten sie sich getrennt. Phin hatte ihr die Hand gedrückt und sie ermahnt, sich nicht umzuschauen. Sein Blick hatte ihr in Erinnerung gerufen, welch ein großes Opfer er ihr zuliebe brachte. Sie hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt und ihn geküsst. Er hatte sie angesehen, als versuchte er, sich jedes noch so winzige Detail ihres Gesichts einzuprägen. Als er dann auch noch schwer geseufzt hatte, war ihr ganz warm ums Herz geworden.
Sie würde alles unbeschadet überstehen, das spürte sie tief in ihrem Innern. Fußgänger liefen vorbei – Paare und Gentlemen ohne Begleitung, von denen einige jedoch nicht zu ihrem Vergnügen einen Spaziergang machten, sondern die die Order hatten, Mina zu beschützen. Die Anzahl der Helfer und die Diskretion, die diese Operation erforderte, hatten Phin gezwungen, abermals eng mit Ridland zusammenzuarbeiten. Letzterer hatte sich bei der morgendlichen Konferenz recht freundlich gegeben. »Ich gebe zu«, hatte er bei einer Tasse Kaffee gesagt, »dass ich anfänglich nicht ganz sicher war, was die Identität des Verräters betrifft. Als Bonham sich dann selbst belastet hat, war ich doch sehr erleichtert. Einem Angehörigen des britischen Adels Verrat nachzuweisen, ist nicht unbedingt ein leichtes Unterfangen.«
Ein Gentleman ging an Mina vorbei und sah sie auffallend interessiert an. Mina tat ihr Bestes, jeden Blickkontakt zu vermeiden und konzentrierte sich stattdessen wieder auf die Gänse. Doch dann blieb der Mann stehen und kam zögernden Schrittes zurück. Ihr Herz schlug schneller. Es machte durchaus Sinn, dass Bonham womöglich einen Komplizen entsandte, auch wenn sie im Vorfeld nicht auf die Idee gekommen war. Wie nachlässig von ihr.
»Verzeihung«, sagte der Fremde mit den grau melierten Schläfen und den erschlafften Wangen. Er war gut gekleidet. Sein schwarzer Chesterfield-Anzug war aus feinem Tuch und maßgeschneidert, und seine blauen Augen schauten eher verwirrt als bedrohlich. »Es liegt mir fern, Sie zu belästigen, aber Sie sehen so aus, als ob … Ich muss Sie das einfach fragen: Kann es sein, dass Sie mit Mrs Harriet Collins verwandt sind?«
Minas Hand glitt zwischen die Rockfalten, wo sich ihre verschwitzten Finger um den Pistolenkolben schlossen. Sie hatte es Phin gegenüber nicht zugeben wollen, aber sie hatte Angst, sich ins Bein zu schießen, wenn es ernst wurde. Es war ihr um einiges lieber, die Waffe
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