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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ihn.«
     
    KAPITEL 11
     
    Mit wem wollt ihr Gott vergleichen, und was wollt ihr neben ihn stellen?
    Jesaja 40,18
     
    ALS ICH IN Faith’ Alter war, habe ich erfahren, dass ich in die Hölle kommen würde. Ursula Padrewski saß in jenem Jahr in der Schule hinter mir. Sie war groß für eine Siebenjährige und hatte lange Zöpfe, die ihre Mutter ihr zusammengerollt wie schlafende Klapperschlangen hochsteckte. Ihr Vater war Hilfspfarrer der Episkopalkirche. Eines Tages nahm sie auf dem Spielplatz allen Mädchen ihre Barbie ab und tauchte sie mit dem Kopf in eine Regenpfütze. Schließlich blieb sie mit in die Seiten gestemmten Fäusten auch vor mir stehen und meinte, Malibu Barbie müsse getauft werden. »Was ist das >getauft    »Gott hat mich nicht untergetaucht«, sagte ich. »Das machen sie in der Kirche, wenn man noch ganz klein ist«, erklärte sie mir, aber erst, nachdem sie einen Schritt zurückgetreten war. »Wer nicht getauft wird«, verriet sie mir dann, »wird in eine Feuergrube gestoßen und kommt in die Hölle.«
    Ich war alt genug, um zu verstehen, dass meine Eltern nicht in die Kirche gingen, was bedeutete, dass ich vermutlich nicht getauft worden war. Ich stellte mir vor, wie der Boden sich unter mir auftat und Flammen bis zu meinem Hals hochschlugen.
    Ich fing an, so laut zu schreien, dass mich auch auf der Krankenstation, wohin mich die Spielplatzaufsicht gebracht hatte, niemand so weit beruhigen konnte, um festzustellen, was eigentlich los war. Man verständigte telefonisch meine Mutter, die zehn Minuten später eintraf. Sie stürzte herein, kam schlitternd auf dem abgenutzten Linoleum zum Stehen und tastete mich nach Knochenbrüchen ab. »Mariah, was ist denn los?«
    Sie schickte die Krankenschwester weg. »Mami«, fragte ich mit tränenerstickter Stimme, »bin ich getauft worden?«
    »Juden werden nicht getauft.«
    Ich brach wieder in Tränen aus. »Dann komme ich in die Hölle.«
    Meine Mutter legte die Arme um mich und murmelte etwas von Gebeten in Gemeindeschulen und Reverend Louis Padrewski. Dann versuchte sie, mir zu erklären, dass Juden das auserwählte Volk wären und ich überhaupt keinen Grund zur Sorge hätte, dass es keine Feuergrube gäbe.
    Aber ich wusste, dass meine Eltern anders waren als die von Joshua Simkis, die auch Juden waren, aber strikt die Regeln ihrer Religion befolgten. Joshua durfte in der dritten Klasse keine Milch trinken, wenn es in der Cafeteria Hamburger gab. Und er trug eine kleine gehäkelte Jarmulka in der Schule, die mit einer Klammer an seinem Haar befestigt war. Meine Familie hingegen ging nicht in die Kirche und ebenso wenig in den Tempel. Ich war nicht getauft worden, aber ich glaubte auch nicht, dass wir auserwählt worden waren.
    Irgendwann beruhigte ich mich dann halbwegs und war bereit, nach Hause zu gehen. Aber auf dem Weg zum Wagen achtete ich darauf, über jede Ritze im Bürgersteig zu springen, weil ich fürchtete, sie könnte jeden Moment aufbrechen und darunter würde sich Ursulas Höllenfeuer auftun. Und in der Nacht, als meine Eltern längst schliefen, ließ ich Wasser in die Wanne und taufte Malibu-Barbie. Dann tauchte ich auch meinen Kopf ins Wasser und wiederholte ein Gutenachtgebet, das ich Laura Ingalls in »Unsere kleine Farm« im Fernsehen hatte sprechen hören. Nur für alle Fälle.
     
    30. Oktober 1999
     
    Am Morgen ruft Joan an. »Ich wollte nur sichergehen, dass Sie noch leben«, sagt sie, und obgleich sie nur scherzt, kann keine von uns beiden darüber lachen. »Ich dachte, ich schaue heute Nachmittag mal vorbei, um mit Ihnen über eine Verhandlungsstrategie zu sprechen.«
    Allein der Gedanke erinnert mich an das, was Ian am vergangenen Abend darüber gesagt hat, dass ich kämpfen und zurückschlagen soll. Selbstverteidigung - das erfordert persönliches Engagement. »Joan, haben Sie zufällig Hollywood Tonight! gesehen?«
    »Lieber lasse ich mir mit Heißwachs die Bikinizone enthaaren, als mir diesen Mist anzusehen.«
    Nicht zum ersten Mal frage ich mich, wer denn nun die große Zuschauergemeinde dieses Boulevardmagazins ausmacht. »Colin war in der Sendung. Zusammen mit Malcolm Metz. Sie haben gestern vor dem Gericht ein Interview gegeben. Colin hat davon gefaselt, dass Faith in Gefahr wäre, und dann ist er in Tränen ausgebrochen.«
    »Sie brauchen sich keine

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