Die Wahrheit des Alligators
sich als Richterin zu verkleiden und sich wehtun zu lassen.«
»Bondage«, warf ich ein, »leichter Sado-Maso. Aber das mit der Verkleidung als Richterin habe ich noch nie gehört.«
»Hast du sie gevögelt?« fragte Benjamino. »Nein. Ich fesselte sie, peitschte sie ein bißchen aus. sowas in der Art. Wir gingen zu ihr nach Hause, und sie gab mir einen ihrer Briefe in die Hand, wo sie aufgeschrieben hatte, was sie an dem Tag eben erregte. Dann schnupfte sie eine Linie Kokain und führte mich ins Schlafzimmer. Ihr werdet es nicht glauben, aber sie schrieb alles auf, sie ließ kein einziges Detail aus. Eine Verrückte. Und als ob das nicht genug wäre, hatte sie auch noch diese Manie, mit Selbstauslöser zu fotografieren. Jedesmal einen ganzen Film. Oft ließ sie eine Freundin kommen. Selbe Vorlieben, aber die ließ sich am Schluß ficken.«
»Wer war die Freundin?«
»Ihr werdet es mir nicht glauben, aber ich weiß es nicht. Aber mir scheint, sie ist Verkäuferin.«
»Und du?« fragte Rossini.
»Ich hab mitgemacht. Es war klar, daß Piera etwas wußte. Sie wiederholte immer wieder, daß sie meine Unschuld beweisen könnte, aber daß wir noch etwas warten müßten, bis wir ›unsere Karten aufdeckten‹. Sie benutzte diesen Ausdruck: ›unsere Karten‹. Sie war verrückt, aber nicht bösartig. Sie hatte ihre Perversionen, ja, aber sie behandelte mich gut: Sie gab mir Geld, kaufte mir Klamotten, wusch meine Sachen. Ich hatte noch elf Monate bis zum Ende des Freigangs, und bis dahin, hatte ich beschlossen, war es mir recht, mit ihr zu gehen. Mit einer, die, wie ich, niemanden hatte.«
»Keine Verwandten?«
»Sie war Einzelkind. Die Eltern sind vor ein paar Jahren gestorben, und sie hatte nie geheiratet.«
»Was arbeitete sie?«
»Sie unterrichtete. Aber dieses Jahr nicht. Sie war …«
»Beurlaubt?«
»Ja, genau.«
»Aber dieses ganze Geld«, beharrte ich, »wo kam das her? Hatte sie was geerbt?«
»Ich weiß nicht. Aber sie hatte immer eine ganze Menge in bar. Sie bewahrte es hinter einem Bücherschrank auf, in einer kleinen Geheimkammer, wo sie alles versteckte, was andere lieber nicht sehen sollten. Sie gab bedenkenlos Geld aus. Sie war dabei, die ganze Wohnung neu einzurichten, und brauchte ständig mehr Kokain.«
»Von wem kaufte sie es?«
»Das weiß ich nicht.«
»Aber das gibt’s doch nicht! Einen Beweis, einen einzigen kleinen Beweis für das, was du gesagt hast, solltest du schon haben«, platzte ich heraus. »Nein«, antwortete er untröstlich und senkte den Blick.
»Verdammt! Wenn du es nicht gewesen bist, wie du sagst, wer zum Teufel hat sie dann umgebracht?«
»Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht. Laßt mich in Frieden!« flehte er verzweifelt.
»Noch eine Frage hingegen. Wann warst du zum letzten Mal in diesem Haus?«
»Montag.«
»Also am 26.«, dachte ich. »Dann ist sie seit drei Tagen tot.«
»Und um wieviel Uhr bist du dort angekommen?«
»Mh, es wird Viertel vor acht gewesen sein.«
Benjamino machte mir ein Zeichen, ich folgte ihm aus dem Raum. »Glaubst du ihm?«
»Nein. Noch nie habe ich eine so beknackte Geschichte gehört.
Weißt du, was ich dir sage? Der ist wirklich durchgeknallt.
Wenn ich sein Anwalt wäre, dann würde ich auf geistige Unzurechnungsfähigkeit plädieren. Vielleicht käme er nach zehn Jahren Irrenhaus dann wieder auf freien Fuß. Und du, was hältst du davon?«
»Ich finde, auch wenn es unglaublich klingt, alles kann er nicht erfunden haben.«
»O. K.«, erwiderte ich. »Es ist klar, daß er mit der Toten ein Verhältnis hatte und daß die, wenn sie sich mit einem wie ihm einließ, ein bißchen durchgeknallt gewesen sein muß. Aber der Rest der Geschichte ist ein Haufen Schwachsinn. Wer sagt dir außerdem, daß es wirklich ein Verhältnis war? Schließlich und endlich hat er sie nicht gevögelt. Womöglich tat er ihr bloß leid, und sie hatte beschlossen, sich wie eine nette Tante zärtlich seiner anzunehmen. Meiner Meinung nach sind die Dinge so gelaufen: Sie haben sich gestritten, sie hat ihm gedroht, den Geldhahn zuzudrehen, er hat rot gesehen und hat sie erledigt. Wir dürfen schließlich nicht vergessen, daß sie eine von denen war, die ihm die achtzehn Jahre Knast aufgebrummt haben, und daß sie – nicht gerade unter der Matratze, aber beinahe – fünfzehn Millionen in bar aufbewahrte.«
»Mh, ich weiß nicht«, Benjamino strich sich den schmalen Schnurrbart glatt. »Jedenfalls glaube ich, daß man an diesem
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