Die Wahrheit des Alligators
schwierige Mandanten hat wie Magagnin.«
»Haben Sie ihn gefunden?« fragte sie und überging meine Rüge. »Ja.«
»Können Sie zu mir in die Kanzlei kommen, sagen wir in einer Viertelstunde?«
»Ich bin schon auf dem Weg.«
Ich bezahlte unsere Getränke und machte Benjamino ein Zeichen, er solle mir folgen.
Die Kanzlei der Foscarini lag in der Nähe des Gerichts. Um diese Tageszeit waren die Büros leer, und es war leicht, einen Parkplatz zu finden. Benjamino wollte im Wagen bleiben und auf mich warten. »Weißt du, Marco, zum Anwalt und zum Arzt gehe ich in der Regel nur, wenn es unbedingt sein muß.« Ich hatte nicht erwartet, sie persönlich vor mir zu sehen, als die Tür aufging, aber dann dachte ich, daß die Sekretärin ja bestimmt längst nach Hause gegangen sein mußte. Sie wirkte ziemlich müde und niedergeschlagen.
Ich begrüßte sie mit einem »Schlechter Tag heute, was?«, während ich etwas befangen eintrat und mich fragte, ob es mir gelungen war, den exzessiv hohen Alkoholspiegel mit Natürlichkeit zu überspielen.
Sie ließ mich in ihrem Büro Platz nehmen, setzte sich hinter den Schreibtisch und sah mich schweigend und mit fragendem Ausdruck an. Ich vergaß einen Moment lang ihre Anwesenheit – zum Teufel mit diesem Blick – und studierte die Einrichtung des Raums. Der Stil war völlig unpersönlich, von einer so raffinierten Frau hätte ich mir was Besseres erwartet. »Also?« fragte sie und unterbrach meine Überlegungen. Ich schilderte ihr die jüngsten Ereignisse. Selbstverständlich überging ich dabei jene Details, die ihr professionelles Gewissen bestimmt nicht gerne zur Kenntnis genommen hätte, wie das, was Baldans Nase und Ohr zugestoßen war. »Jetzt sind Sie dran«, schloß ich.
»Nun, wie Sie schon vermutet haben«, begann sie, und stand dabei auf, »ist Haftbefehl erlassen worden. Vor dem Mittagessen wurden die Fingerabdrücke identifiziert, und die Vergangenheit der Belli als Geschworene wurde mit meinem Mandanten in Verbindung gebracht. Morgen wird es in allen Zeitungen stehen. Es ist mir nicht gelungen, mit dem Richter zu sprechen, obwohl ich den ganzen Nachmittag bei der Staatsanwaltschaft war. Glücklicherweise kenne ich einen Gerichtsschreiber, der mich über die neuesten Entwicklungen informiert hat und mir eine Kopie der Protokolle der Spurensicherung und des gerichtsmedizinischen Gutachtens gegeben hat. Ich hatte gehofft, es wäre etwas dabei, was Alberto entlasten könnte, aber leider ist alles nur zu seinem Nachteil. Für die Ermittler ist der Fall schon abgeschlossen.« Ich konnte mich nicht zurückhalten: »Das finde ich aber reichlich illegal, sich die Akten auf diesem Weg zu beschaffen.«
»Oh, das ist das Geringste! Wissen sie denn nicht, daß es mittlerweile an der Tagesordnung ist, in den Zeitungen Vernehmungsprotokolle zu lesen, die eigentlich der Geheimhaltungspflicht unterliegen …«
»Noch immer überzeugt, daß er unschuldig ist?«
»Ja, und hören sie endlich auf, mich danach zu fragen.«
»Bloße Neugier. Gut, mein Auftrag ist damit erfüllt, ich habe das Geheimnis des verschwundenen Mandanten gelöst, und nun wissen Sie, wie Sie ihn finden können. Wenn Sie so freundlich wären, mir das Geld zu geben, das mir zusteht, dann will ich Sie auch nicht länger belästigen.« Das Telefon läutete, während sie vor meinen Augen Fünfzig-und Hunderttausender-Banknoten aufhäufte. Sie lauschte ein paar Sekunden lang. »Entschuldigen Sie, ich kann dieses Telefonat nicht aufschieben, ich werde versuchen, in ein paar Minuten fertig zu sein«, versicherte sie, während sie ins Nebenzimmer ging, wo ein zweiter Apparat stand. Ich nickte schwach, auf eine längere Wartezeit gefaßt: Mittlerweile weiß ich aus Erfahrung, daß die Telefonate von Anwälten nur der Intention nach kurz sind.
Ich war allein geblieben, zündete mir eine Zigarette an, rauchte sie mit Genuß und trat ans Fenster. Von dieser Position aus konnte ich das Kommen und Gehen der Leute und der Autos verfolgen. Die Anordnung der Straßen lenkte den Verkehr in ganz bestimmte, feste Bahnen. Am Rand meines Blickfelds das Auto, in dem Benjamino saß und auf mich wartete. Das erste Stück Asche fiel auf den Parkettboden. Ich riß mich aus meinen Träumereien los: Die Anwältin würde das vermutlich gar nicht mögen. Mit einem raschen Blick suchte ich nach einem Aschenbecher, vergeblich. Langsam schlenderte ich zum Schreibtisch hinüber. Eine Schublade stand offen, und drin lag eine graue Mappe. Die
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