Die Wahrheit des Alligators
entscheidenden Entlastungsmoment für den Verdächtigen gemacht. Der Mörder mußte seinen Plan also notgedrungen ändern und in das Haus des Opfers zurückkehren, sonst wäre das ganze Ding geplatzt: So ein kleiner Gegenstand hätte einen fraglos gut durchdachten Plan zunichte gemacht.«
»Und warum hat er sie nicht mitgenommen? Ich an seiner Stelle hätte mir das nicht zweimal überlegt und sie in die Tasche gesteckt.«
»Das hätte der klassische unstimmige Punkt werden können, und das hätte die Situation kompliziert, statt sie zu vereinfachen. Die verstellten Zeiger dagegen haben alles völlig umgekehrt: Die Uhr ist jetzt ein Belastungsmoment für Magagnin und ein bombensicheres Alibi für den wahren Täter, der, jede Wette, einen Haufen Zeugen haben wird, die bereit sind auszusagen, daß er am Montag nach 19 Uhr ganz woanders war.«
»Irgendwas stimmt hier nicht, Marco. Wie hat der Mörder es angestellt, all diese Sachen zu wissen, von wegen wie Leichen verwesen und so’n Kram? Ich hab ja schon den einen oder anderen Mörder kennengelernt in meinem Leben, aber keiner von denen wäre je imstande gewesen, so viele Details zu berücksichtigen. Und vor allem wären sie nie das Risiko eingegangen, an den Tatort zurückzukehren.«
»Ich hab’s dir gesagt, er war gezwungen, es zu tun. Das Risiko war erheblich, aber es hat ihm erlaubt, sich wieder ins Spiel einzubringen. Wenn alles glattgeht, wird er am Ende noch die Trumpfkarte des perfekten Verbrechens in Händen halten. Und alles dank seiner Fähigkeit, auch die kleinsten Details mit einzubeziehen, und dank eines bemerkenswerten Timings. Das ist bestimmt einer, der sich auskennt. Gerissen, skrupellos und methodisch.«
»Ein Profi? Ein bezahlter Killer?«
»Das glaube ich nicht, auch wenn die Belli in etwas merkwürdigen Kreisen verkehrte. Apropos, ich hab ganz vergessen dir zu sagen, daß Magagnin bezüglich der Schnupferei nicht gelogen hat: Es war eine hübsche Menge Benzoylekgonin im Urin. Eher schon denke ich an jemand, der die Frau so gut kannte, daß er – wäre da nicht wie durch Vorsehung Magagnin aufgekreuzt – riskiert hätte, sofort in den engeren Kreis der Verdächtigen gezogen zu werden.«
»Du könntest ja recht haben. Aber deine Rekonstruktion stützt sich auf etwas schwache Elemente, wie mein Anwalt wieder sagen würde. Sicher, wenn jemand in das Haus zurückgekehrt ist, dann bestimmt nicht der Tote hier auf dem Sofa. Es hätte keinen Sinn gehabt, das zu tun, außerdem waren seine Transportprobleme auch nicht unbeträchtlich. Ich hab mich umgeschaut: Hier gibt es nicht mal ein Fahrrad.« Ich hing lange meinen Gedanken nach, bis Benjamino wieder das Hauptproblem ansprach.
»Und mit ihm, was machen wir jetzt mit ihm?« fragte er und wies auf den Leichnam.
»Das hängt ganz davon ab, wie wir die Geschichte beenden wollen. Geben wir auf? Dann überlassen wir ihn denen, die da draußen die Hetzjagd auf ihn begonnen haben, und der Fall ist für immer abgeschlossen. Die Toten begraben ihre Toten, und der Mörder lebt in Frieden für den Rest seines Lebens. Wenn wir dagegen im Spiel bleiben wollen, dann müssen wir als erstes diesen Leichnam verstecken: Solange er gesucht wird, bleibt der Fall offen.«
»Willst du den Mörder finden?«
»Ja. Wir sind die einzigen, die das können. Ich spreche im Plural, weil ich es ohne deine Hilfe und die der Foscarini gar nicht erst zu versuchen bräuchte.«
»Und dann?«
»Was dann?«
»Wirst du ihn dann anzeigen?«
»Hör zu, Benjamino, du wirst dir doch wohl keine Gewissensbisse machen wegen einem, der ungeschoren davonkommen will, indem er die Schuld auf einen armen Schlucker wie den hier abwälzt. Es ist klar, daß er diesen Mord nach dem Muster des Mordes von 76 ausgeführt hat, wofür dieser Kerl hier schon im Knast saß. Und weißt du warum? Weil Magagnin der perfekte Sündenbock war: Häftling auf Bewährung, halbwegs drogenabhängig, in eine undurchsichtige Geschichte mit der Toten verwickelt. Ist das nicht ein widerliches Verbrechen? Eine unerträgliche Ungerechtigkeit? Oder besser: Eine Schandtat, wie ihr Gangster sagt?«
»Ja, es ist eine Schandtat, aber Mörder zu finden, ist die Sache von Bullen und Richtern. Das überlassen wir lieber denen.«
»Aber die haben ihren Mörder ja schon, und es ist der falsche. Ich habe seine Unschuld herausgefunden«, ich zeigte auf die Leiche, »und jetzt will ich sie beweisen, aber dazu muß ich dem Schuft einen Namen geben, der die Frau umgelegt hat
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