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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massimo Carlotto
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jünger, waren auf seinem Gesicht doch schon der unsympathische Zug und die traurigen Augen, die ich kannte, zu erkennen. Sie hingegen lächelte, und ihr Gesichtsausdruck war leicht zweideutig. Ich verweilte lange bei diesen Bildern und fragte mich, was in aller Welt diese Frau dazu gebracht haben konnte, im Schwurgericht zu lächeln, wo doch dauernd eine so verhängnisschwangere Atmosphäre herrscht. Es wirkte, als hätte sie sich für den Fotografen in Pose gesetzt und als fühlte sie sich rundum wohl.
    Wer hätte je gedacht, daß sie mal kokainsüchtig werden und sich mit einem Freigänger einlassen würde, mit einem, der ein paar Tage nachdem diese Bilder aufgenommen worden waren, auch dank ihrer Beihilfe, verurteilt worden war. Wer weiß, ob Magagnin den Teil seiner Erzählung bezüglich der sadomasochistischen Praktiken, in die er, wie er sagte, durch die Belli eingeführt worden war, frei erfunden hatte. Aus den Interviews mit Nachbarn und Lehrerkollegen gewann man den Eindruck, sie hätte ein eher zurückgezogenes Leben geführt, sei praktisch ganz in ihrer Lehrtätigkeit aufgegangen. Die nächsten Verwandten lebten in Treviso, und in den letzten Jahren hatten sie sie selten gesehen. Sie würden sich jedenfalls um die Beerdigung kümmern. Die Journalisten hatten keine Freunde ausfindig machen können, aber das interessierte die Ermittler bestimmt nicht: für die Untersuchungen nebensächlich. Adreßbücher waren nicht einmal beschlagnahmt worden. Und doch mußte sie ihre Bekanntschaften gehabt haben, und ziemlich vorurteilsfreie obendrein, da diese sie auf den Kokaingenuß gebracht hatten.
    Auf das Kokain fand sich in den Artikeln nicht der geringste Hinweis. Das war verständlich, dem Richter würde das erst bei Vorlage des Gutachtens auffallen, denn das würde auch die toxikologischen Befunde umfassen; aber selbst wenn er es jetzt schon wußte, Magagnins Position würde sich dadurch um keinen Deut bessern.
    Eines war sicher, hinter dem Lächeln dieser Frau gab es etwas zu entdecken. Eine so unerhörte Wahrheit, daß ein derart kompliziertes Verbrechen gegen sie ausgeheckt werden mußte. Auf das Foto von Barbara Foscarini im Talar folgte ein Interview mit ihr, eine weitere verzweifelte Verteidigung ihres Mandanten. Der Journalist schloß den Artikel mit einer ziemlich unfreundlichen Bemerkung, die die Anwältin erledigte. Wie üblich konnte natürlich die Meinung des Experten nicht fehlen. Der Seelenklempner, Dauergast in den meistgesehenen TV-Shows des Moments, hatte sich auch diesmal den gebührenden Platz gesichert, um über die narzißtische Persönlichkeit mit Borderline-Syndrom zu dozieren und über Streßfaktoren bei Einnahme von Drogen und Alkohol, die Argwohn und ritualisiertes Verhalten verstärken können. Armer Magagnin, sie hatten ihm das Gewand des Mörders auf den Leib geschneidert, auch mit dem Segen der Psychiatrie. Der Artikel mit der Unterschrift Giovanni Galderisi, dem Senior unter den Paduaner Lokaljournalisten, hob sich von den anderen ab, weil er nicht in den Chor der breiten Mehrheit einstimmte, sondern einige unklare Punkte hervorhob, von denen er meinte, sie verdienten die besondere Beachtung der Ermittler. Vor allem muß man sich fragen, wer der mysteriöse anonyme Anrufer ist, der den Ermittlern ermöglicht hat, den geschändeten und leblosen Körper der beklagenswerten Lehrerin zu finden. Es fällt schwer zu glauben, das sei Magagnin gewesen, der mutmaßliche Täter des Verbrechens. In der Tat geht man nach landläufiger Erfahrung davon aus, der Mörder sei der letzte, der wünscht, daß das Verbrechen entdeckt wird. Vielleicht ein Freund oder Nachbar zu Besuch? Das ist ebenso unwahrscheinlich, vor allem, weil er ohne weiteres seinen Namen hätte nennen können, und dann, weil der mysteriöse Anrufer bei der Polizeizentrale eine Angabe gemacht hat- die Leiche befindet sich in einem Raum im ersten Stock des Hauses –, die beweist, daß er sie zumindest gesehen hat. Wäre es ein Nachbar oder ein befreundeter Besucher gewesen, hätte er nach Auffinden der Leiche sofort Hilfe geholt und dazu das Telefon im Haus benutzt, in dem er sich aufhielt. Hingegen ist festgestellt worden, daß der Anruf um vier Uhr früh aus der Telefonzelle einer Tankstelle an der Autobahn Venedig-Mailand kam.
    Muß man hier nicht vielleicht an einen Komplizen denken oder jedenfalls an jemanden, der über das Verbrechen ebensoviel weiß wie Magagnin?
    Weiter muß man sich fragen, warum Magagnin ausgerechnet

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